[Inhaltsverzeichnis am Ende der Besprechung.]
Beginnt man Eugen Dönts Buch von hinten, bei der „Weiterführenden Literatur“, zu lesen, so stellt man zunächst fest, daß es dem Verfasser offensichtlich nicht eigentlich um einen präzise in der aktuellen Forschungslandschaft plazierten Beitrag geht: Dokumentiert ist fast ausschließlich die ältere deutschsprachige Forschung bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, und die auch nur selektiv. In deren Tradition steht daher auch der vorangehende knapp 90seitige Essay, der in drei Teile zerfällt. ‘Aristophanes, der Dichter und sein Gegenstand’ (13-41) behandelt Politik, Philosophie und zeitgenössische Dichtung als die drei großen Themen der Aristophanischen Komödie. Zentrales Thema des Aristophanes sei „die Stellung des Menschen in der Gesellschaft …, die dem Menschen wesenseigene Natur …, das Wesen der menschlichen Natur …“, die „ein Allgemeines ist … zeitlos, ewig gültig.“ (9). Dieser essentialistischen Herangehensweise entspricht dann, daß Dönt mit (kaum hinterfragten oder aufgefächerten) statischen Konzepten arbeitet: ‘dem Dichter’, ‘dem Volk’, ‘der Politik’, ‘der Wirklichkeit’, ‘der Natur’ etc. – dies ist aus der Perspektive der die Altertumswissenschaften aktuell klar prägenden Kulturwissenschaft gewiß eine problematische Herangehensweise und hätte vor dem Hintergrund des aktuellen main streams der Komödienforschung der Rechtfertigung bedurft. Ebenso kritisch läßt sich die (nicht näher argumentierte) Position hinterfragen, daß wir in den Äußerungen des Chors Aristophanes’ „persönliches Verstehen“ „in objektiv-distanzierter Weise“ kennenlernen könnten (11): Daß auch chorische Positionen letztlich figuraler Natur und damit Teil des gesamten ideologischen Entwurfs sind und daß sich auktoriale Positionen darin nicht weniger als in Äußerungen der Protagonisten finden, aber eben in Engführung mit anderen Stimmen, würde spätestens seit Goldhills Poet’s Voice wohl niemand mehr bestreiten. 1 Aufgabe des Dichters (!) sei die Stiftung von politischem Ausgleich und Harmonie (23), das Volk (!) sei für Aristophanes einerseits gottbegnadeter Träger der Politik (29), andererseits „dumm und verführbar“ (24). Dies wird mit zum Teil länger ausgeführten Querverweisen auf gleichfalls eher konzeptualistische Positionen bei Platon, Aristoteles und Thukydides zusammengesehen, obgleich Dönt zu Recht gerade auf die konkretistische Entfaltung des Konzeptuellen bei Aristophanes Wert legt. Das läuft letztlich auf die Grundannahme hinaus, daß Aristophanes poetische Technik darin bestehe, theoretische Einsichten und Annahmen zu konkretisieren und zugleich die darin enthaltene Gesellschaftskritik in satirischer Überzeichnung und Brechung zu präsentieren – keine neue Position, deren Mangel zudem darin besteht, daß sie Dramaturgie, Stil, poetischer Pragmatik nur eine rein mediale Bedeutung beläßt, hinter der sich eine politische Botschaft versteckt, die zu entschlüsseln ist, wenn sie auch –aufgrund der genannten Statik der politikrelevanten Faktoren – letztlich nur undifferenziert daherzukommen vermag und auch die konservativen Grundannahmen des Verfassers nicht kaschiert, die Störern der tradierten Ordnung (etwa den Sophisten) gegenüber distanziert bleibt (etwa 30, 34), von der Geistesgeschichte geadelte Gestalten, wie Sokrates, hingegen aus dem Fokus komischer Kritik herausnimmt. Wenn man Dönt auch zustimmen mag, daß ein Faktor satirischer Komik in Aristophanes’ Komödien die Orientierungs- und auch Verantwortungslosigkeit des Einzelnen in einer (durch das Theaterpublikum vertretenen: 36) basisdemokratischen Gesellschaft ist, so wird man seiner finalen epochengeschichtlichen Einordnung (40f.) vielleicht nicht folgen wollen, wonach Homers Epos „gewissermaßen ‘Volksdichtung’“ war, hingegen „die Klassische Tragödie Kulthandlung, in der sich das Volk zusammenfand“ (40); dagegen dichte Aristophanes in einer Phase des Umbruchs, der Krise, eben am Ende einer Epoche, für die grundsätzlich eine innere Distanz zur Wirklichkeit typisch sei, die sich literarisch in der Zunahme des Satirischen äußere. Dahinter steht eine organologische, Umbruchzeiten als Degenerationsphasen desavouierende Auffassung von Gesellschaftsgeschichte, die umgekehrt soziale Homogenität dort voraussetzt, wo wir – wie bei Homer – nichts darüber wissen oder wo – wie für die Tragödie, deren Zeitgenosse Aristophanes doch ist: Oder was meint Dönt mit „Klassischer Tragödie“? – eine solche Homogenität nicht wirklich gegeben ist, will man das 5. Jhd. nicht als eine „in sich ruhende Welt“ (40) ansehen, was so global sicher nicht behauptet werden kann, nicht einmal für die Gesellschaftsgeschichte der Polis Athen allein.
Im zweiten Abschnitt – ‘Utopie, „die Unwirklichkeit der Verzweiflung“’ (43-63) – bestimmt Dönt Aristophanes’ Anliegen als den Versuch, „dem Publikum … für den Zeitraum der Aufführung die Augen [zu] öffnen, den Blick frei [zu] machen …“ (46). Dabei herrsche das Bewußtsein des utopischen Charakters aller handlungsbestimmender Wünsche vor, die Verzweiflung darüber werde im versöhnlichen „Humor“ (partiell von Dönt als – bezweifelbare und auch nicht näher erläuterte – Übersetzungsoption für σκώμματα verwendet: 51) aufgehoben: „aus der Utopie [wird] eine Versöhnung des Leidens am Endlichen mit der Vision eines Absoluten“ (47). Auch hier, wie im ersten Kapitel, operiert Dönt aber im Grunde mit vagen Konzepten (das „Endliche“, das „Absolute“), die keine differenzierte Füllung erfahren. Dabei beobachtet er zu Recht die Rückwärtsgewandtheit der Aristophanischen Utopie-Komik, ebenso die schlaraffische Aufladung der Utopie durch unrestringierte Sexualität und Überfluß an Nahrungsmitteln. Das alles wird aber nicht eigentlich vertieft, sondern im zweiten Teil des Kapitels durch Vergleiche und Analogien aus Dramen Brechts, Tschechovs, Bernhards, Becketts erweitert, so daß der eigentliche Fokus des Abschnittes unklar bleibt. Der Versuch, Plot und Text der Komödie durchsichtig zu machen hin auf eine generalistische Weltdeutung und ein ebenso allgemeines philosophisches Basiskonzept, vernachlässigt erneut den Autonomieanspruch des Poetischen genauso wie seine kulturelle Kontextualisierung. Auch einzelne Deutungen, meist eher aphoristischer Natur, gehen daher ins Leere, wenn etwa die Utopie der Ekklesiazusen als „egoistisches Streben nach Befriedigung sinnlicher Begierden“ desavouiert wird (60): Gerade die Sinnlichkeit utopischer Wünsche ist ja ein Charakteristikum Aristophanischer Entwürfe, und gerade Praxagora kann man eben nicht Egoismus unterstellen.
Das letzte Kapitel – ‘Distanz und Nähe’ (65-83) – arbeitet schließlich den Gedanken aus, daß Aristophanes mit seinen utopischen Entwürfen neue Mythen schaffe, deren Konkretheit und Alltagsnähe Dönt den traditionellen und damit distanzierteren Mythen der Tragödie gegenüberstellt. Zweck des komischen Mythos sei eine Durchleuchtung gerade der athenischen Gesellschaft „in ihrer Wahrheit“ (70): Das Individuum empfinde sich permanent als Mangelwesen, versuche beständig, über die Enge seines Daseins hinauszugelangen, scheitere dabei regelmäßig, aber im Humor der Aristophanischen Komödie könne eben jenes Individuum über sein eigenes Scheitern auch lachen. Leider wird auch dieser Gedanke nicht eigentlich vertieft, denn man könnte ja fragen, inwiefern man denn Dikaiopolis, Peithetairos oder Lysistrate als Scheiternde ansehen wolle: Die Aristophanische Utopie ist von vornherein an den Festkontext und seine raumzeitliche Chronotopie gebunden, und sie bekümmert sich nicht darum, was außerhalb dieses Chronotops aus ihr werden könnte. Deshalb haben auch jene Protagonisten gar keinen Anlaß, über sich selbst zu lachen.
So bleiben am Ende Zweck und Zielrichtung des Essays, aber auch die kulturwissenschaftlichen Prämissen, auf denen Dönt seine Argumentation aufruhen läßt, unklar. Und das ist gerade angesichts der großen Belesenheit des Verfassers in der europäischen Rezeption, aus der mehr hätte gemacht werden können, besonders schade.
Inhalt
Vorwort 5
Vorbemerkung 7
Aristophanes, der Dichter und sein Gegenstand 13
Utopie, „die Unwirklichkeit der Verzweiflung“ 43
Distanz und Nähe 65
Nachbemerkung 85
Weiterführende Literatur 89
Der Autor 92
Notes
1. Simon Goldhill, The Poet’s Voice. Essays on Poetics and Greek Literature, Cambridge 1991.