BMCR 2013.01.47

Response: Gerolemou auf Thumiger auf Maria Gerolemou, Bad Women, Mad Women

Response to 2012.11.12

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Für die Rezension meines Buches über die Frauen in der Tragödie möchte ich mich zuerst bei Chiara Thumiger bedanken. Jedoch sehe ich mich veranlasst, einige Bemerkungen zu ihrer Rezension Punkten zu machen.

Rezensentin scheint zuerst generell von meiner Studie zu erwarten, dass neben der 80seitigen theoretischen (und natürlich selektiven) Grundlegung und Methodenvorstellung in der Einleitung dann eine einzige theoretische Abhandlung folge und Phänomene „within the wider frame of Greek culture“ erklärt würden. Das ist jedoch ausdrücklich nicht mein erklärtes Ziel gewesen, als welches ich vielmehr bestimmt habe die Untersuchung des Diskurssystems Griechische Tragödie in Hinsicht auf Motive und Funktionsweisen der Darstellung von Frauen als verrückt.

Zweitens zu Thumigers Vorwurf “madness is […] very evidently not gender-specific, an objection that Gerolemou does not address“ und weiter “[…] how do we define madness? Not even in the opening of the introduction is madness properly qualified or problematized“: Die Konnotationen der weiblichen “Mania“ in der attischen Tragödie manifestieren sich traditionellerweise in den Formen eines pathologischen Krankheitsbildes oder religiöser Ekstase. Mein Buch hingegen arbeitet heraus und etabliert einen revisionistisch-gesellschaftskritischen Begriff des Wahnsinns, den es als geschlechtsspezifisches Konstrukt patriarchaler Reglemen¬tierung, d.h. der männlichen Diskursmacht definiert. Dies wird selbstredend sehr wohl problematisiert und qualifiziert (S. 2, 6, besonders 14-20 u.ö.). D.h. der Wahn, den mein Buch ins Zentrum der Analyse stellt, ist kein wie auch immer zu fassender pathologischer Zustand der Akteure, sondern vielmehr der missgünstige Kommentar, das soziale negative Projizieren von Verrücktheit; und als solches (und nur als solches) wird es, wie ich gezeigt habe, durchaus „very evidently gender-specific“ einerseits Frauen dann zugewiesen, wenn sie die Gender-Normen verletzen, und andererseits Männern, wenn sie gegen die göttliche Weltordnung aufbegehren (S. 74ff.). Bei diesem so aufgefassten, den Frauen lediglich sozial-diskursiv zugeschriebenen Wahnsinn spielen also, anders als gewöhnlich bei Wahnsinnsfällen im Drama, die Götter keine bewirkende Rolle, wie etwa bei der Mania der Frauen in den Bakchai oder bei der des Herakles im HM. Im Zentrum meiner Analyse stehen hingegen gerade nicht jene pathologischen, von Göttern in die Verrücktheit getriebenen Figuren.

Gleichwohl wird diese negative soziale Kategorisierung der Frauen als Wahnsinnige freilich wie ein gottgeschickter bzw. pathologischer Wahn bezeichnet, wird doch ihr Begriffsfeld u.a. von Bezeichnungen wie ἀφροσύνη, ἄνοια (Unvernunft), μωρία (Torheit), μανία (Rasen) abgesteckt. Mithin ist in meiner Studie der genderorientierte Wahn nicht, wie Thumiger meint, “in a broader metaphorical sense“ aufgehoben. Darüber hinaus behält er, ähnlich wie bei den durch göttliche Einwirkung Rasenden, ein Grundmerkmal, das Mattes1 als das Fliehen oder Poriomanie, also das wahnhafte Umherschweifen herausgearbeitet hat. Wie Aischylos’ Orestes nach dem Mord an seiner Mutter als befleckt weit weg von seinem Haus von den Erinyen vertrieben und entfernt wird, wobei sein Fliehen aus seinem gottgeschickten Wahnsinn resultiert, so bedeutet auch bei den Frauen im Drama ihre Exodos aus dem Oikos in den öffentlichen Raum des Theaters (was sie selbst oder andere stets eigens als ungewöhnlich verkünden) häufig eine Verwerfung der räumlichen Festlegung von geschlechtlichen Verhaltensregeln und den Anfang des Vorwurfs Wahnsinn (cf. S. 27f.). Diesen für das Buch ganz zentralen Punkt erwähnt Rezensentin bezeichnenderweise leider überhaupt nicht.

Ein weiterer Punkt, den Rezensentin völlig missinterpretiert hat, sind die von mir herausgearbeiteten zwei Kategorien von Frauen, die in den Texten als wahnsinnig beschrieben werden. Es ergeben sich nämlich zwei Gruppen von wahnsinnigen Frauen in der Tragödie. Auf der eine Seite begegnen Frauen, die wegen ihres Entfernens von ihrer traditionellen Rolle als Frau als verrückt abqualifiziert werden (Klytaimestra, Medea, Agaue); und auf der anderen Seite stehen Frauen, denen eben das Gleiche passiert, jedoch deshalb, weil sie in übertriebener Weise ihre Frauenrolle ausleben (S. 12ff.) und bei dem Versuch, das patriarchalische Protokoll zu wahren, gerade daran scheitern (Danaiden, Deianeira, Antigone, Elektra). Beide Frauengruppen werden also als gefährlich für die Sozialstrukur der Polis und demzufolge als Wahnsinnige beschrieben, sowohl die rollenentfremdeten (Klytaimestra im 2. Kap.) als auch die ihre Rolle übereifrig auslebenden Frauen (Deianeira im 4. Kap.). Sie sind nicht „opposed types in the tragic female world”.

Weiter kritisiert Rezensentin eine in ihrer Sicht starre von mir nicht aufgelöste Gegenüberstellung unter anderem durch folgende Frage: „Does this presence [sc. of dangerous women] reinforce the paradigm of male dominance, or does it offer subterranean venues through which women’s marginalized voices can be heard?” Nun, abgesehen der recht allgemeinen Erfahrung, dass es in der Interpretation von Literatur niemals eindeutige Antworten geben wird, präsentiert meine Studie den weiblichen Wahnsinn, explizit in der Einleitung wie auch im Resümee, als sowohl destruktiv als auch konstruktiv dem traditionellen Diskurs, d.h. dem patriarchalischen Protokoll gegenüber. Normwidrige weibliche Figuren und ihr unerwartetes als gefährlich bezeichnetes Auftreten mitsamt dem zugeschriebenen Wahn in der Öffentlichkeit des Theaters bieten der Polis Athen innerhalb der Institution Drama ein Diskussionsforum, auf dem einerseits das Patriarchat als Diskursivmacht sich seiner selbst zu vergewissern und durch die Abwertung der gefährlichen Frauen zu stabilisieren versucht und auf dem andererseits, gleichsam auf einem in den Mythos projizierten sozialen Experimentierfeld (als Teil der „Politischen Kunst der Tragödie“ mitsamt ihrer Verhandlung der „mentalen Infrastruktur“ und des „nomologischen Wissens“ nach Chr. Meier2), vor der anwesenden Zuschauergemeinde auch Frauen einmal ihre Fähigkeiten jenseits der traditionellen Geschlechterrollen frei entfalten dürfen. Frauen, denen Wahnsinn zugeschrieben wird, gewinnen somit für ihre Empfindungen und Vorstellungen einen eigenständigen weiblichen Spielraum und verschieben dabei in den Texten den Fokus der Wahrnehmung, indem sie sich über ihre ‚Abweichungen’ selbst äußern und mit eigener Stimme für Offenheit der sozialen Normen bzw. für Erlösung von deren erstickender Begrenzung protestieren (s.o. Klytaimestra).

Insgesamt geht also die Meinung der Rezensentin, dass meine Studie eher „female characters“ als „theoretical constructs“ von Gender untersuche, völlig ins Leere; werden doch die weiblichen Geschlechterrollen über nichts anderes als gerade über die Charakterisierung der Frauen, entweder von außen negativ abwertend und damit restriktiv oder positiv eigenes Recht fordernd, von ihnen selbst geschaffen. Die theoretische Kategorie Gender kann vielmehr nur über die soziale Charakterisierung konstruiert wie auch analysiert werden. ​

Notes

1. J. Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts, Heidelberg 1970.

2. Chr. Meier, Die Politische Kunst der Griechen, München 1988. ​