Mehrere Jahre lang konnte Alexis Oepen vom DAI Madrid aus die frühchristlichen Denkmäler Spaniens und Portugals studieren. Seine hier vorgelegte Doktorarbeit gilt einem Thema, das letzthin stärker in den Vordergrund gerückt ist: dem Platzgreifen des Christentums auf dem Lande, wie es sich vom 4. Jh. an gerade in den Nuklei und im Umfeld wohlhabender ruraler Anwesen Hispaniens mitteilt. Hier bieten etliche villae der Iberischen Halbinsel bereicherte Evidenzen gerade aus jüngeren Feldforschungen, welche dringend eine Sichtung im Zusammenhang übergreifender Fragestellungen empfehlen. So wurde etwa in Buchform El final de las villae en Hispania (siglos IV-VII d.C.), Turnhout 2007 zum Thema einer Studie von Alexandra Chavarría Arnau. Nunmehr folgt Oepen mit einer äußerst gehaltvollen, speziell der Christianisierung gewidmeten Untersuchung. Der Titel Villa und christlicher Kult wird dabei insofern sehr ernst genommen, als der Autor erstens sich bemüht, veritable Kultstätten des neuen Credo – und nicht nur vereinzelte kleinformatige oder mobile archäologische Belege für die allmähliche Christianisierung – auf dem Lande heranzuziehen, und infolgedessen zweitens den anderen aktuellen Forschungsfokus konsequent ausblendet: den vom 5. Jh. an festzustellenden städtischen Sakralbau; nur zwei suburbane Kirchen von Córdoba und Tarragona werden dann doch miteinbezogen, eben weil sie im Bereich dortiger Anwesen liegen.
Gesichtet wird das Gesamtinventar christlicher Kultanlagen, welche während der Spätantike – bis zum Ausgang des hispanischen Westgotenreichs um 700 – im Kontext hispanischer und zumeist profund ländlicher Anwesen entstanden. Da Oepen dies unter Aufbietung einer bewundernswerten Literaturkenntnis leistet (er bringt 2570 sorgfältig erstellte, teils ausgesprochen substantielle Anmerkungen) und die Denkmäler sehr detailliert beschreibt und erörtert, könnte man sein Werk ohne weiteres auch als ein aktuelles Kompendium der damals christianisierten Liegenschaften lesen, zumal er diejenigen Stätten, welchen trotz anderslautender Mußmaßungen jeglicher Erweis einer christlichen Kultnutzung fehlt, ebenfalls bespricht und negativ bescheidet (São Cucufate, Odrinhas, La Sevillana, Bruñel, Gabia la Grande, Jumilla, Navatejera u. a.). Fraglos bildet somit das Repertorium der unter dem Aspekt ‘christlicher Kult’ akzeptierten bzw. ausgesonderten Orte das Kernstück des Buches und ist weit mehr als ein simpler Katalog: Auf den Seiten 96-471 werden in 63 Abschnitten die verschiedenen, teils selbst unter Spezialisten nur selten aufgerufenen Monumente und bisweilen sogar noch weitere, nicht eigens adressierte Plätze recht genau beschrieben (und angesichts dieser Fülle können die 60 Bildtafeln natürlich nur begrenzte Anschauung vermitteln; einige Pläne sind ohne Maßstab / Nordpfeil). Sie werden außerdem sorgfältig diskutiert, wobei Oepen zu wiederholten Malen speziell der Aspekt der privaten Anbindung solcher Kultstätten interessiert.
Dieses Problemfeld stellt er schon am Anfang seines Buches, nach Einführung und Forschungsgeschichte (13-44), mit Recht besonders heraus: Dort spricht er, in den Abschnitten »Zum Phänomen der Eigenkirche« (45-60), »Konzilien und Synoden in Hispanien« (61-85) und »Eigenkirchen in Gesetzestexten« (86-92), hauptsächlich jene prioritär zu beachtenden Gesichtspunkte an, die der spannungsreichen Relation zwischen Grundbesitzern und Amtskirche geschuldet sind. Denn die Etablierung einer neuen Religion (mit zentralen Instanzen) auch in ›weit draußen‹ liegenden, immens großräumigen Umgebungen (mit partikularen Akteuren) erzeugt konfligierende Interessen: Wer hat mehr Zugriff auf ländliche Kultlokale, ihre Kleriker und Einkünfte – der Bischof, dem die geistliche Aufsicht zusteht, oder der possessor, welcher einen Sakralbau auf seinem eigenen Grund errichten ließ? Solche Fragen bewegten in jenen Jahrhunderten die Gemüter, und der Verfasser gibt ihnen hier breiten Raum.
Das Inventar herangezogener Monumente ist geographisch geordnet: Von Südportugal aus bewegt man sich zunächst bis nach Galicien, dann folgt – ungefähr – die einstige Baetica, anschließend die Levante mit Hinterland, um im weiteren Fundplätze der Provinz Cáceres und Kastiliens zu besuchen und über Asturien den Großraum Katalonien sowie endlich Mallorca zu erreichen. Dieses Vorgehen hilft dem Außenstehenden, sich zurechtzufinden (wofür wohl die Landkarte auf Tafel 1 genügt hätte), doch sehen wir uns dabei mit manchmal krassen chronologischen und/oder kontextualen Unterschiedlichkeiten der sukzessiv angesteuerten Monumente konfrontiert, während andererseits eng verwandte Szenarien auseinandergerissen werden; so widerfährt es den begüterten Landsitzen von La Cocosa (168-175) und Villa Fortunatus (422-434), die man um oder bald nach 400 jeweils mit einer privaten Grabarchitektur ausstattet, welche später gemeindekirchlich ausgeweitet wird. Eingeräumt sei jedoch, daß hier wohl keine ideale Präsentationsweise des Stoffes existiert.
Es ist erfreulich, wie kritisch und eigenständig der Verfasser dem Material und dem Forschungsschrifttum gegenübertritt. Mit Recht läßt er die lusitanische Villa von São Cucufate “in Bezug auf die Fragestellung nach Errichtung und Weiterleben christlichen Kults in spätantiken Villen … ausscheiden” (125). Ebenso statthaft bezweifelt er die Frühdatierung der Kirche des benachbarten Monte da Cegonha schon ins 4. Jh. (128). Die überkommene Apostrophierung von Anlagen wie La Cocosa (173) und La Alberca (256f.) als Martyria findet bei Oepen wenig Beifall, und in El Saucedo mit seiner unzweifelhaften Taufpiszina stellt er legitimerweise die allzu bemühte Spekulation um eine Kirchendeutung des unmittelbar benachbarten Saals in Frage (327-329).
In anderen Fällen darf man vielleicht einige Reserven äußern. Daß Oepen beim um 300 extra muros gebauten Cordobeser Cercadilla-Palast in der heftig wogenden Debatte um dessen Ursprung und Interpretation die aufsehenerregende Kaiserthese ablehnt, erscheint ebenso akzeptabel wie die von ihm geteilte Vermutung, nachmals habe Bischof Ossius die Anlage vereinnahmt; gewagt ist dagegen die Idee, Cercadilla sei damit auch Bischofssitz von Corduba geworden (denn die Sitze der Oberhirten / die Kathedralen befanden sich aus pastoralen Gründen regelmäßig im Stadtinneren), und auch Oepens These, man habe den dortigen Nord-Trikonchos bereits im 4. Jh., unter Ossius, als Kirche hergerichtet (227f., 485, 490), wird kaum Anklang finden. Bezüglich der spektakulären Villa von Carranque und ihres Nord-Komplexes aus dem späten 4. Jh. vertritt er insofern eine überwunden geglaubte Position, als er in der dortigen Süd-Nord-Architekturflucht aus Vorhalle, dreizügigem Längsteil und Neunzellen-Bau nun doch wieder eine “Kirche” vorfindet – wenn auch etwas widersprüchlich: Zunächst wird der Schauplatz kirchlichen Kults im Neunzellen-Bau lokalisiert, dann jedoch im dreizügigen, hofartig offenen Längsteil, während die Schlußbetrachtung wesentlich vorsichtiger formuliert: “Trotz der in letzter Zeit geäußerten Zweifel an einer Funktion als christlicher Kultbau ist eine solche Deutung noch immer nicht auszuschließen” (360, 365f., 480). Tatsächlich jedoch deuten hier weder Dispositionen noch Ausstattungsreste auf ein reguläres frühchristliches Gottesdienstgeschehen. Unnötige Skepsis hegt Oepen demgegenüber bei der Basilika von Torre de Palma im Blick auf deren neuerdings angesichts eines Münzendepots bejahte Frühdatierung ins 4. Jh. (148), wo dort doch eigentlich eher die gesonderte Frage nach dem Einführungszeitpunkt des Schemas gegenständiger Apsiden zu stellen wäre. Bezüglich der Erstfunktion des Apsidenbaues von Milreu (96-109, 478) folgt er zu bereitwillig der durch Dennis Graen verfochtenen Mausoleumsthese; unberücksichtigt bleiben dabei die Einwände in der Abhandlung von Felix Teichner, Entre tierra y mar. Zwischen Land und Meer. Architektur und Wirtschaftsweise ländlicher Siedlungsplätze im Süden der römischen Provinz Lusitanien (Portugal), Mérida 2008. Wenn Oepen für die asturische Villa von Veranes konstatiert, dort sei der Gedanke an ein spätantik-westgotenzeitliches Gotteshaus “endgültig abzulehnen” (418, 473), so mutet dies voreilig an und reflektiert jedenfalls nicht die eher positive Einschätzung seitens der Ausgräber. Die interessante Anlage von Mijangos mit ihrer West-Gegenapsis wurde zwar um 600 geweiht, doch war dies sicherlich nur eine Wieder-Konsekration (389f. Anm. 2100 mit irrtümlichem Verweis auf Schlunk). Und daß die Kirche von San Pedro de Mérida um 600 aus einem schon bestehenden Raum entstanden sei, ist keineswegs zwingend; die Fertigung der Rechteckapsis aus abweichendem Baumaterial muß nicht notwendig einen “nachträglichen Zusatz” verraten (189f., 483f.), sondern kann einer bewußten Wahl der modernen Quadertechnik folgen, die naturgemäß bei den zukunftsträchtigen rechteckigen, tonnengewölbten Altarsanktuarien begonnen hätte.
Zu spät für Oepens Projekt wurde die portugiesische Villa von Quinta das Longas bei Elvas bekannt, die ihn fraglos sehr interessiert hätte. Dort bietet ein südgerichteter Apsisraum ein vielleicht erst dem 5. Jh. entstammendes Bodenmosaik, welches, wie in der Villa Fortunatus und der Villa de Prado, das Christogramm präsentiert – sogar zentral im Apsismosaik (André Carneiro, Sobre a cristianização da Lusitânia, Espacio, Tiempo y Forma, ser. I: Prehistoria y Arqueología, n. ép. 2, 2009, 213, 215). Ergänzungsbedürftig sind zudem die Bemerkungen zu Algezares, nach dessen Bezugspunkt Oepen vergeblich fragt (260, 486), wo aber jüngere Grabungen nahebei die Reste eines großen axialsymmetrisch-repräsentativen Baugefüges aufgedeckt haben (Luis A. García Blánquez, El atrium paleocristiano de Algezares [Murcia], in: Espacio y tiempo en la percepción de la Antigüedad Tardía = Antigüedad y cristianismo 23, Murcia 2006, 113-132).
Nur sehr wenige Versehen bedürfen einer diskussionslosen Sachkorrektur. Martin von Braga lebte im 6., nicht im 7. Jh. (156). Die Reliefplatte von La Chimorra mit Männern im spätantiken Dienstkostüm befindet sich heute im Museum Córdoba (Anm. 1075). Umgekehrt wird die wichtige Bauplastik von La Toscana leider nicht im Museum Jaén gehütet (233), sondern ist verschollen. Die bekannte Schranke aus Reccopolis gehört nicht dem Museum Guadalajara (351), sondern dem Madrider MAN.
Die von Oepen vorgetragenen Einschätzungen und Befunde stehen in der Spannung zwischen Konstanz und Innovation, zwischen Regel und Ausnahme. Bezüglich der eingangs angeklungenen, aktuell durchaus virulenten Frage nach dem Ende der hispanorömischen Villen deklariert er schon vor dem Durchmustern der Einzelfälle deren permanente Vitalität über das 5. Jh. hinaus, ja ohne weiteres noch im 7. Jh., wobei zumeist der Landadel im Besitz seiner Domänen bleibe, auch wenn die Latifundienwirtschaft einem teilweise reduzierten und demographisch veränderten Betrieb Platz mache (23f.). Später heißt es, jedenfalls für den Bereich Mérida, es fänden sich “genug Belege für eine Siedlungstätigkeit im 6. und noch im 7. Jh., da diese Villen schließlich auch für die herrschenden Schichten im Westgotenreich eine wirtschaftliche Basis darstellten.” Hätten wir es allerdings “noch in der Spätantike mit einem Gutsherrn zu tun, der seine Ländereien von Sklaven und Kolonen bewirtschaften läßt, so begegnen in der Westgotenzeit eher feudale Strukturen, d. h. ein lokaler dominus unterhält Beziehungen zu den von ihm abhängigen Halbfreien. Dieses System wandelt sich in ländliche Siedlungen und Dörfer um …” (166f.; vgl. 490). Bei den konkreten archäologischen Stätten indessen “ergibt sich über die Jahrhunderte ein ausgesprochen heterogenes Bild, das einem Wunsch nach Regelhaftigkeit widerspricht. Dies ist allerdings auch nicht verwunderlich, da es sich um Bauten handelt, die von ganz verschiedenen Auftraggebern nach eigenen Vorstellungen und Wünschen für unterschiedliche Bedürfnisse errichtet wurden” (472).
Trotzdem seien einige Gemeinsamkeiten feststellbar, die Oepen in der »Schlußbetrachtung« (472-490) als Quintessenz zusammenfaßt, auf diese Weise den anhin von Stätte zu Stätte voranschreitenden Zugriff nun noch um eine kurze systematische Auswertung vervollständigend. Er vermerkt die achtbare Inzidenz von Zeugnissen des christlichen Credo im Kontext spätantiker hispanischer Anwesen, mit welchen nur sehr gelegentlich auch die Errichtung eines Kultbaues korrespondierte (475-477). Zu Recht notiert er, daß »die Grenzen zwischen Mausoleum und Memoria/Martyrium fließend sind« und bisweilen nachträglich ein gemeindeorientierter Kult eingerichtet werde, und diskutiert dies instruktiv anhand einer Reihe seiner Beispiele (477-482). Er hätte dazu jedoch pointierter Stellung beziehen sollen, nachdem sich bereits zwei prominente Kolleginnen mit spürbar unterschiedlichen Meinungen zu diesem Fragenkreis geäußert haben, nämlich Kim Bowes, Building sacred landscapes: villas and cult, in: Villas tardoantiguas en el Mediterráneo occidental, Madrid 2006, 73-95 und demgegenüber sehr skeptisch Alexandra Chavarría Arnau, Aristocracias tardoantiguas y cristianización del territorio (siglos IV-V): ¿otro mito historiográfico?, Rivista di Archeologia Cristiana 82, 2006, 201-230. Weiterhin beleuchtet Oepen in dichtem Vergleich die Bandbreite an Phänomenen und (vermuteten) Szenarien der Schaffung und Entwicklung christlicher Kultlokale in oder bei Villen und Gutshöfen (483-488). Daß es zur Errichtung größerer Kirchen im Villenumfeld erst ab dem 6. Jh. gekommen sein soll (489), müßte unter Verweis auf Torre de Palma (4. Jh.) relativiert werden. Als Beweggründe solcher Bauunternehmungen nennt der Autor die enormen Distenzen in Hispanien bis zur nächsten Stadt, private Frömmigkeit, kultfördernden und prestigeträchtigen Reliquienbesitz und den Wunsch nach standesgemäß prächtiger oder ad sanctos erfolgender Bestattung, wobei Attraktivität und Gemeindebildung (Indiz: Baptisterium) bisweilen bewußt forciert werden, was Konflikte mit der bischöflichen Autorität heraufbeschwören kann (489f.). Sind Villen aufgelassen, so vermag Oepen sich die darauf angelegten Gräber oder Nekropolen ohne Bezug auf einen – etwa ebendort aus wiederbenutztem Material errichteten – Kultbau vorzustellen (474f.), doch scheint die Frage nach der normativen Ziemlichkeit eines noch so kleinen christlichen Kultzentrums im Friedhofskontext bisher nicht gültig beantwortet.
Alles in allem ein sehr elaboriertes, nützliches Werk, dessen Verdienst nicht im Exponieren einer großen These, wohl aber in der beharrlichen Sensibilität für das gestellte Thema, im kontextorientierten Vorführen und sorgfältigen Abklopfen einer immens mannigfaltigen Faktenfülle besteht. Oepen zeigt dabei klares Urteil und gutes Raisonnement.