BMCR 2012.09.39

ForschungsCluster 3. Orte der Herrschaft: Charakteristika von antiken Machtzentren. Menschen – Kulturen – Traditionen, Bd 3

, , , , ForschungsCluster 3. Orte der Herrschaft: Charakteristika von antiken Machtzentren. Menschen - Kulturen - Traditionen, Bd 3. Rahden: VML Verlag Marie Leidorf, 2012. vi, 180. ISBN 9783867573832. €59.80 (pb).

[Authors and titles are listed at the end of the review.]

Die in diesem Sammelband vereinigten archäologischen Aufsätze sind aus drei Jahrestreffen hervorgegangen, in denen die Forschergruppe ‚Orte der Herrschaft‘ des am Deutschen Archäologischen Institut angesiedelten Forschungsclusters 3 (‚Politische Räume‘) zwischen 2007 und 2009 ihre Arbeit dokumentiert hat.1 Bei jedem dieser Treffen stand ein spezifischer Aspekt von Herrschaftsorten im Vordergrund, und diese Dreiteilung spiegelt sich in der Gliederung des Bandes wider. Das gemeinsame Interesse gilt erstens der Wahl und der Situierung des Herrschaftsortes, genauer gesagt der Frage, von welchen historischen Faktoren diese abhingen. Zweitens wird erörtert, wie die Funktionen der verschiedenen Bestandteile eines Herrschaftsortes und deren Zusammenhang identifiziert werden können. Im dritten Teil schließlich werden Wege und rituelle Handlungen an Orten der Machtausübung in den Blick genommen. Diese drei Aspekte werden anhand von Fallstudien vorgestellt, die dem Zeitraum vom 13. Jh. v.Chr. bis zum 10. Jh. n.Chr. entstammen und geographisch bzw. kulturell im hethitischen Kleinasien, in Babylon, dem mykenischen Griechenland, dem kaiserzeitlichen Rom und dem keltischen Bereich sowie dem umayadischen Spanien angesiedelt sind. Den Schwerpunkt bilden eindeutig die kaiserlichen Residenzen und Villen des Römischen Reiches, insbesondere von Augustus bis zu den Flaviern, denen sechs der dreizehn Beiträge gewidmet sind. Sämtliche Aufsätze sind mit reichem Bild- und Planmaterial sowie mit ausführlichen Bibliographien versehen. Eingeleitet werden sie durch eine knappe programmatische Einführung, während eine abschließende Synthese oder Indices fehlen.

Der Wert des Bandes liegt stärker in den erzielten Einzelergebnissen, die mitunter das bisherige Bild der Forschung deutlich korrigieren können, als in übergreifenden, allgemeineren Erkenntnissen oder gar einer neuen Konzeption antiker Herrschaftsorte. Wer ausgearbeitete Ansätze zu einer fundierten Typologie des antiken Herrschaftsortes sucht, wird hier nicht fündig. Dies ist angesichts des weiten diachronen und kulturellen Horizonts sowie der beschränkten Auswahl der Fallbeispiele wohl auch nicht zu erwarten. Trotz des gemeinsamen Leitthemas machen die Beiträge sowohl in ihrem methodischen Zugriff als auch in der Tragweite ihrer Ergebnisse einen sehr heterogenen Eindruck.

Da die vielfältig besetzte Kategorie des Raumes in den letzten Jahren in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen zu neuen Ehren gekommen ist, ohne daß die Konzeption des Raumes immer klar definiert wird, ist in der Einleitung eines solches Bandes eine Begriffsklärung am Platze. In dezidiertem Anschluß an soziologische Raumtheorien (Georg Simmel, Martina Löw) wird der Raum als Produkt sozialer und politischer Aktionen verstanden (1). Zwar gäben die Bedingungen des gebauten Raumes den Rahmen für soziale Handlungen vor, seinen Charakter, seine Funktion und Bedeutung erhalte der Raum jedoch erst durch das menschliche Handeln. Grundlegend für die Untersuchungen sei demnach die Interdependenz von Person, Handlung und Raum. Angesichts der Komplexität von Raumtheorien hätten diese einleitenden Reflexionen mehr in die Tiefe gehen können, und überdies geben längst nicht alle der folgenden Beiträge den Einfluß der soziologischen Raumkonzeption zu erkennen. Der Rekurs auf die Theorie bleibt dann bloßes Bekenntnis ohne heuristischen Wert.

Die ersten sechs Aufsätze zu mykenischen Palästen, keltischen Fürstensitzen, kaiserlichen Residenzen in Rom und Gamzigrad sowie den Amtssitzen der Stadtpräfekten von Rom und Konstantinopel gehen der Frage nach, welche Faktoren jeweils die Wahl des Standortes bedingten. Es überrascht dabei nicht, daß die spezifischen topographischen, historischen und kulturellen Gegebenheiten starken Einfluß auf die Situierung von Herrschaftsorten nahmen, da der Gestaltungswille von Herrschern stets mit vorhandenen materiellen und immateriellen Bedingungen konfrontiert war. Teilweise, etwa im Falle der Residenz des Augustus auf dem Palatin (Ulrike Wulf-Rheidt), lassen die Situierung und Ausgestaltung von Herrschaftsorten Rückschlüsse auf eine gezielte Baupolitik sowie auf eine Herrschaftsideologie zu. Schwieriger fällt eine Beurteilung, wenn schriftliche Quellen fehlen, die man mit den archäologisch faßbaren Überresten zusammenbringen könnte. Im Falle der mykenischen Paläste und der keltischen Fürstensitze kann man kaum über plausible, aber ziemlich allgemeine Hypothesen hinausgelangen. Die Erkenntnis, daß die Lage der Orte durch zahlreiche historische Faktoren taktischer, sozialer und ökonomischer Art oder kontingente Einflüsse bedingt war (12, 30), leuchtet zwar unmittelbar ein, war aber im voraus auch nicht anders zu erwarten. Es fördert das Verständnis dann wenig, unter Berufung auf Martin Heidegger den mykenischen Griechen ein spezifisches Raumverständnis zuzuschreiben, wie es Ulrich Thaler in seinem Fazit unternimmt (12). Axel Posluschny macht in seiner Studie zu keltischen Fürstensitzen darauf aufmerksam, wie problematisch es ist, Kategorien wie ‚Stadt‘, ‚Herrschaft‘ und ‚Administration‘ auf die frühkeltische Zeit zu übertragen (19). So fällt auch sein Resümee negativ aus, daß nämlich im Hinblick auf die protokeltischen Gesellschaften von Orten der Herrschaft im engeren Sinne gar nicht gesprochen werden könne.

Im zweiten Abschnitt befassen sich vier Aufsätze mit der funktionalen Ausgestaltung von Herrschaftsorten. Dargestellt werden der Palast der hethitischen Großkönige in Hattuša und verschiedene römische Kaiserresidenzen. Alexandra Busch beleuchtet, inwieweit die Architektur kaiserlicher Residenzen und Villen dem Bedürfnis Rechnung trugen, für den Schutz des Kaisers und der kaiserlichen Familie zu sorgen. Im Vergleich mehrerer Orte zeigt sich, daß der Präsenz der Leibwache hierbei eine wesentlich wichtigere Rolle zufiel als der Lage und der baulichen Gestaltung. Möglicherweise ist dies auf die Ideologie des Prinzipats zurückzuführen, die Wert auf die vermeintliche Nähe zwischen Kaiser und Volk legte. Eine betont wehrhafte Architektur hätte eher Distanz signalisiert. Problematisch ist, daß Busch in dieser Hinsicht eine grundlegende Veränderung in der Spätantike konstatiert, jedoch lediglich im Fazit kursorisch auf zwei Beispiele der ausgehenden Antike verweist (121f.). Eine so weitreichende These bedürfte einer ausführlicheren argumentativen Basis. Während sich die übrigen Beiträge mit der Ausübung und Repräsentation von Herrschaft beschäftigen, beleuchtet Henner von Hesberg einen Nebenaspekt des römischen Herrschaftsortes, die Räumlichkeiten für die Dienerschaft in der Residenzarchitektur. Die Untersuchung von Bedienungsgängen und Treppen im Vergleich mit der Villenarchitektur kann hierbei Licht auf verschiedene Wahrnehmungsformen und Verhaltensmuster werfen, je nachdem ob das Personal zu repräsentativen Zwecken deutlich sichtbar gemacht oder zur Betonung der Intimität ausgeschlossen wurde. Welche Strategie verfolgt wurde, hing selbstverständlich vom Charakter der jeweiligen Gelegenheit ab (137).

Das größte Interesse können diejenigen Untersuchungen beanspruchen, die den dritten Abschnitt bilden und sich mit sozialem und rituellem Handeln befassen. Sie sind es auch, die am ehesten das Bestreben zeigen, die Einzelbefunde in allgemeinere Erklärungsmuster einzubinden, so daß sich Vergleiche mit anderen Epochen und Kulturen anstellen lassen. Zudem wird hier das Versprechen eingelöst, sich auf die soziale Produktion des Raumes zu konzentrieren und damit Ansätze der neueren Raumsoziologie für das Studium antiker Herrschaftsorte fruchtbar zu machen.

Claus Ambos untersucht rituelle Wege des babylonischen Königs zwischen Palast, Steppe und Tempel während des Neujahrsfestes im Herbst, um zu zeigen, wie durch die Einbeziehung der mit Bedeutungen und Werten konnotierten Himmelsrichtungen in das Ritual verschiedene Aspekte der Herrscherideologie zum Ausdruck gebracht werden. Besonders erhellend ist, daß diese Analyse darauf aufmerksam macht, daß im Rahmen der Herrschaftsrepräsentation auch temporäre Orte der Herrschaft wie etwa ein Gefängnis aus Rohr eine große Bedeutung haben können, die sich nur noch aus schriftlichen Quellen rekonstruieren läßt (139). In methodischer Hinsicht führt der Aufsatz also vor Augen, daß der archäologische Befund allein oftmals nicht ausreicht, um die ‚Bespielung‘ und Funktionalisierung von Räumen angemessen zu erfassen. Am Beispiel der Oberburg des mykenischen Tiryns stellt Joseph Maran das Zusammenspiel von Architektur, Bildern und sozialem Handeln dar. Hier wird deutlich, wie sich eine Veränderung der Raumgestaltung nicht nur in einer anderen Nutzung, sondern ebenso in der Wahrnehmung sozialen Handelns niederschlagen konnte. Durch bauliche Maßnahmen nach 1200 v.Chr. sollte die Sichtbarkeit sozialen Handelns erhöht werden, um die integrative Kraft der Rituale zu betonen. Schließlich beleuchtet die minutiöse Rekonstruktion eines Empfangszeremoniells im umayadischen Cordoba, wie im Zusammenwirken von Raum und Ritual das Zeremoniell und der architektonische Rahmen verschiedene Konzepte von Herrschaft und Gesellschaft visualisieren. Beide Faktoren, die zeremoniellen Interaktionen und der gebaute Raum, dienen dazu, die Beziehung zwischen dem Herrscher und seinen Besuchern zu definieren. Dabei determiniert die Architektur keineswegs die Form des Zeremoniells, sondern produziert einen Bedeutungsüberschuß, der zur Aussage der Handlungen in einem Spannungsverhältnis steht (176). Architektur setzt hier den Rahmen für die Handlungen, sagt jedoch nicht zwangsläufig etwas über deren Art aus.

Es wäre nach der Darstellung von Fallbeispielen angebracht gewesen, in einer Zusammenschau die verbindenden Linien zu ziehen oder auch die zugrunde liegenden Kategorien zu problematisieren. Beispielsweise hätte man sich gewünscht, daß am Schluß das Konzept des Herrschaftsortes oder der Zusammenhang von Raum und Herrschaftsideologie kritisch reflektiert würde. Insgesamt bezeugen die hier versammelten Beiträge, daß eine Kategorie wie Raum oder Orte der Herrschaft, wenn sie sehr weit gefaßt und nur vage definiert ist, noch keine größere Kohärenz verleiht und nicht unbedingt innovative Zugriffe fördert. Der Leser wird diesen Band eher wegen spezieller Einzelaspekte und -ergebnisse konsultieren, als um grundsätzliche Erkenntnisse über „Charakteristika von antiken Machtzentren“ zu gewinnen, wie es der Untertitel verheißt.

Autoren und Titel der Beiträge

Ulrich Thaler: Geschichtlich bedingt – geschickt bedacht. Anmerkungen zur Situierung mykenischer Paläste
Axel Posluschny: Keltische ‚Fürstensitze‘ – Orte der Herrschaft?
Ulrike Wulf-Rheidt: Augustus und das Gespür für den richtigen Ort – die Situierung der ersten Kaiserresidenz auf dem Palatin in Rom
Gerda von Bülow: Überlegungen zur Standortwahl für den tetrarchenzeitlichen Kaiserpalast Romuliana – Gamzigrad (Serbien)
Roland Färber: Die Amtssitze der Stadtpräfekten im spätantiken Rom und Konstantinopel
Heinz-Jürgen Beste: Betrachtung, Analyse und Überlegungen zur Wahl des Standorts der Domus Aurea
Andreas Schachner: Die Funktionen des Palastes der hethitischen Großkönige in Boğazköy-Hattuša
Ulrike Wulf-Rheidt: Nutzungsbereiche des flavischen Palastes auf dem Palatin in Rom
Alexandra W. Busch: Schutz und Verteidigung kaiserlicher Residenzen und Villen im Spiegel archäologischer und literarischer Quellen
Henner v. Hesberg: Scalae convivio utilia secretiore ambitu suggerunt – Bedienungsgänge und -treppen in der Residenzarchitektur
Claus Ambos: Rituelle Wege an babylonischen Königssitzen
Joseph Maran: Architektonischer Raum und soziale Kommunikation auf der Oberburg von Tiryns – Der Wandel von der mykenischen Palastzeit zur Nachpalastzeit
Felix Arnold: Der Besuch von Ğa‛far ibn Ἁlī beim Kalifen von Córdoba – Zeremoniell und architektonischer Rahmen

Notes

1. DAI Forschungscluster 3