BMCR 2012.04.50

Geld als Medium in der Antike

, , Geld als Medium in der Antike. Berlin: Verlag Antike, 2011. 180. ISBN 9783938032466. €32.90.

Table of Contents

Aus einem Vortragsabend zum Thema „Die Sprache des Geldes in der Antike” im Januar 2010 ist dieser Band entstanden. Einer kurzen Einführung folgen fünf Aufsätze, die als Beispiele gelten sollen, wie eine Definition des Geldes als Medium zu neuen Ergebnissen in den Altertumswissenschaften führen könnte.

Der theoretische Hintergrund, wie das Vorwort (B. Eckhardt – K. Martin, „Einführung: Geld als Medium in der Antike”, S. 7-13) erklärt, ist die Idee, dass Geld als Medium nicht nur als Vermittler von Nachrichten, Stichworten, Bildern usw. gilt, sondern auch als Vermittler normativer Werte, einer „Handlungsorientierung” (S. 8). Dies passt gut zu den neuesten Ansätzen der Soziologie und Kommunikationswissenschaft, laut denen die Medien Informationen nicht nur „passiv” vermitteln, sondern „aktiv” schaffen und könnte in der Tat zu neuen, originellen Beiträgen im Bereich der antiken Kulturgeschichte führen: Münzen sind Gegenstände des wirtschaftlichen Lebens und in diesem Bereich bewegt sich nicht nur ihre Hauptfunktion, sondern auch ein Teil des vermittelten Inhalts (wünschenswert wäre eine Untersuchung, inwieweit solche Vermittlungen dem Zweck dienen, die monetäre Funktion der Münzen zu versichern). 1 Nichtsdestoweniger fehlt ein klarer Unterschied zwischen Geld und Münzen.2 Die Fragen, die bezüglich der Münzen (Objekte also, die, als solche, Träger weiterer und oftmals gleichzeitig verschiedenartiger Informationen sind) zu stellen sind, betreffen Adressaten, Ziele, Inhalte, ihre Strukturierung und die schon angesprochene „aktive” Rolle der Medien in der Gestaltung von Sinn- und Handlungshorizonten. Geld — als abstrakter Begriff, unabhängig von seiner eventuellen Materialisierung — kann in der Tat nur gewissermaßen ein „Medium” sein; seine wichtigste Rolle spielt es nicht als Vermittler, sondern als Diskurs. In diesem Sinne kann es zur Beschreibung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse beitragen, ebenso normativ zu ihrer Normierung und Strukturierung; es muss aber seinerseits vermittelt werden — nicht nur durch Münzen: eine große Funktion übernehmen in diesem Sinne andere Kommunikationsformen wie bspw. literarische Texte.

In der Einführung wird ebenfalls eine Anwendung der Systemtheorie Luhmanns suggeriert — welche aber nur im ersten Aufsatz, Eckhardts „Geld, Macht, Sinn. ‚Überpekuniarisierte Verhältnisse’ im Athen des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr.” (S. 14-56), verwirklicht wird. Eckhardt benutzt die Definition Luhmanns von „überpekuniarisierten Verhältnissen”,3 die für nicht ausdifferenzierte Ökonomien erfunden wurde, in denen man mit Geld alles kaufen kann, als heuristischen Begriff zur Untersuchung der athenischen Demokratie. Zentraler Punkt ist dann die Einführung der Geldwirtschaft in eine „embedded economy”, aber Eckhardt, der, nach Luhmann, von einer unmöglichen Einschränkung des Wirkungsbereichs des Geldes spricht, benutzt diesen Begriff nie. Laut dieser Einführung sei das Geld rasch zu einem Code zur Beschreibung und Strukturierung der sozialen Verhältnisse geworden (ein Diskurs mit einem klaren moralischen Hintergrund). Geld ist nicht personalisiert, haftet nicht, es garantiert in seiner Funktion als Wertmesser eine Rückgabe von gleichem Wert und lässt keine Rückstände; deshalb helfe es bei der Erschaffung reziproker Verhältnisse und bei der Verbreitung einer egalitären Ideologie — so Eckhardt.

Der Aufsatz beinhaltet viele interessante Ansätze und Anregungen, aber auch problematische Punkte. Zuerst sind Diskurse — auch die normativen — immer Elemente und Produkte eines stetigen Aushandelns in der Gesellschaft, während Eckhardt eine zu lineare Entwicklung skizziert. Insbesondere die literarischen Quellen können uns zeigen, wie der Diskurs „Geld” (und der Diskurs „Gabe”!) in der politischen Auseinandersetzung verwendet wurde — die mangelnde Reziprozität, die Eckhardt in Perikles Epitaphios richtig identifiziert (S. 32f.) muss z.B. mit den Gaben und Spenden Kimons kontrastiert werden. Auf einer zweiten Ebene wäre es wichtig, die Überschneidungen zwischen den Diskursen „Geld” und „Gabe” zu analysieren: nicht nur, weil Geld auch geschenkt werden kann, sondern auch, weil diese wichtige Zusammenhänge mit dem Diskurs der Bestechung (die häufig als „falsche Gabe” thematisiert wird) aufzeigen — mit allen relevanten Konsequenzen in der Interpretation bspw. der attischen Komödie. Bedeutsam ist auch die Chronologie: Eckhardt verbindet die Monetarisierung der Gesellschaft mit dieser „Wende”, die neue, ökonomisierte Formen von Abhängigkeitsverhältnissen generiert hätte; dies ist zumindest zweifelhaft, insbesondere in Bezug auf die Reformen Solons, die durch ihre timokratische Natur schon zur Kreation eines Zusammenhangs zwischen der Rolle eines Menschen in der Gesellschaft und seinem Vermögen beigetragen hatten. Gerade Solons Seisachtheia sollte somit zu weiteren Reflexionen über die Verbreitung und Funktion (politisch und sozial) des Oppositionspaars Gläubiger-Schuldner (ein wichtiges Thema der Komödie, wie Eckhardt schreibt (S. 33), aber nicht nur ein Produkt der Monetarisierung) in Bezug auf das Oppositionspaar Patron-Klient führen. Auch die Verwendung des Geldes auf einer metaphorischen Ebene, zur Beschreibung der Götter und der Menschen (S. 51-54), ist eine Ausweitung in ein semantisches Feld, für das Geld früher nicht benutzt wurde; es muss auch im Kontext der literarischen Tradition (und insbesondere der hesiodeischen Menschen aus Metall) gelesen werden. Eckhardt scheint exzessiv auf der Suche nach einem deutlichen Bruch zwischen „archaischer” und „demokratischer” Gesellschaft zu sein, was ihn dazu verleitet, die Rolle des Geldes teilweise überzubewerten. Die „Überpekuniarisierung” wird am Ende jedoch nicht demonstriert. Für zukünftige Untersuchungen wäre es wichtig zu analysieren, wie solche Diskurse andersherum die alltägliche Verwendung des Gelds beeinflussten bzw. die damit verbundenen moralischen Aspekte.

Dumkes „Gutes Gold. Überlegungen zum Sinnhorizont der nbw nfr-Prägungen des Nektanebos II.” (S. 57-90) beschäftigt sich mit Münzen als Medium – auch wenn die Bezeichnung als „Massenmedium” (S. 57), insbesondere für Ägypten in dieser Zeit, übertrieben scheint. Dumkes Ansatz ist sehr interessant und überzeugend in der klaren Unterscheidung – gegen die traditionelle Theorie, die in diesen Münzen nur ein Mittel der Besoldung der griechischen Söldner sah – der möglichen Rezipienten (Griechen und Ägypter) dieser Prägungen und in der Identifikation eines „wirtschaftlichen” Inhalts in der Vielfalt der möglichen mitgeteilten Inhalte. Dabei vergisst er nicht anzumerken, dass die Stellung der Zeichen (Hieroglyphen) auf den Münzen auch auf einer „ästhetischen” Ebene zu interpretieren ist – in diesem Fall eine mögliche Annäherung an die athenische Tetradrachme. Nicht völlig überzeugend erscheint nur die Interpretation dieser Goldstücke als Ehrenabzeichen (S. 82), die nicht erklären kann, wieso einige Horte viele Exemplare dieser Münze, teilweise gar nur diese eine Prägung, beinhalten (S. 66f.).

Münzen sind auch das Thema von Martins „Sprechende Bilder. Zur ‚Sprache des Geldes’ in der Antike” (S. 91-138). Martin will thematisch geordnete Vergleiche zwischen Ikonographien antiker Münzen und Bildern aus modernen Medien herstellen. Mehr als solche Vergleiche zu betonen, wäre aber vielleicht nützlich, einen Ansatz zu entwickeln, der unter einem Anschein von Ähnlichkeit die strukturellen Differenzen unterstreichen könnte. Unklar bleibt so, ob Martin die deterministische Idee einer „universalen Sprache” fördern will („bestimmte Gesten und Motive verstehen sich von selbst”, S. 133); interessanter wäre aber zu betonen, wie Ikonographien einer jeden Epoche Produkte einer historischen Entwicklung sind. Wenn (so Martin S. 114f.) heutige Hochzeiten den Handschlag vorsehen, ist es eben nicht das Produkt einer universalen Tendenz, sondern die Konsequenz der Riten der römischen Hochzeit mit der dextrarum iunctio. Dies lässt sich auch in der Antike feststellen anhand vieler Beispiele von Münzen, die Bilder und Typen zeigen, die bewusst sogar jahrhundertealte Stücke nachahmen. Postuliert wird dazu eine große Aufmerksamkeit des Publikums für die Münzikonographien — das Thema wird jedoch nur in einer Fußnote betrachtet (S. 130f.).4 Nichtsdestoweniger muss man immer bedenken, dass die Münzen (mit ihren Bildern) nicht alleine im Umlauf waren, sondern in einem komplexen Kontext, der auch von performativen Zeremonien, Malereien, Skulpturen usw. formiert wurde. Vor diesem vielfältigen Hintergrund wurden die Münzen betrachtet (was eine heutige Interpretation deutlich erschwert). Martin denkt, dass Münzen die Rolle eingenommen hätten, die die Bildmedien in der heutigen Gesellschaft spielen, mit dem einzigen Unterschied, dass sie länger im Umlauf blieben, während heutige Bilder schnell wieder vergessen würden (S. 93-96). Nicht nur sind aber Funktionen und Kontexte anders. Die modernen Beispiele sind fast immer Akte öffentlicher Performanz, die, dank der modernen Technologien, in Bildern „verewigt” wurden. Auch sind heutzutage andere Menschen für die Auswahl und Verbreitung der Bilder zuständig – in der westlichen Welt bspw. Journalisten, nicht aber Menschen, die direkte politische Macht besitzen. Diese Frage der Zuständigkeit wird ebenfalls nur in einer Fußnote thematisiert (S. 122), ohne jeden Verweis z.B. auf Levick und die entsprechende wissenschaftliche Debatte.5

Die letzten zwei Aufsätze thematisieren abermals „Geld”, nicht aber „Münzen”. Kimmel beschäftigt sich mit diesem Thema bei Plautus („Effiziert und effizient. Geld als Medium bei Plautus”, S. 139-154), und zeigt, wie Geld als effiziertes und effizientes Motiv in dessen Komödien verwendet wird, das nicht nur der Beschreibung der Gesellschaft dient, sondern auch exemplarisch wirken sollte — dies führt auch zu weiteren Bestätigungen über die plautinische Komödie und ihre Selbstreflexivität. Der historische Kontext hätte vertieft werden können: die Autorin identifiziert einen „Umbruch” in der Wahrnehmung des Geldes, der mit der Einführung des Denarius und somit mit einem Umbruch des Währungssystems Roms erklärt wird (S. 140) — vielleicht sollte man stärker betonen, dass der Denarius in der Mitte des zweiten punischen Krieges eingeführt wurde und dass ein Umbruch auf allen Ebenen stattfand.

Wittreck beschäftigt sich im letzten Aufsatz („Münzmanipulation und Wucher. Gelddiskurse als Gerechtigkeitsdiskurse”, S. 155-171) mit der Rolle des Geldes im philosophischen Diskurs bei Aristoteles und im Mittelalter (in der islamischen aristotelischen Tradition und bei Thomas von Aquin). Aristoteles Vorstellung des Geldes als Mittel der ausgleichenden Gerechtigkeit ist in der Tat von zentraler Bedeutung in der Konstruktion aller „Geld-Diskurse” nach ihm, und Wittreck untersucht den Stageiriten und dessen Wiederentdeckung und Interpretation im Mittelalter aus dieser sehr interessanten Perspektive.

Die fünf Aufsätze können und wollen nicht die ganze Breite der antiken Welt abdecken, sondern sind viel mehr als „Fallstudien” und Beispiel neuer Ansätze konzipiert. Der Band beinhaltet in der Tat interessante und anregende Anstöße für neue Studien über das antike Geld und über die Funktion antiker Münzen als Medium, zwei Bereiche, die aber doch sorgfältiger zu unterscheiden sind. Beim Thema „Münzen” hat Dumke gezeigt, dass dieser Ansatz zu neuen, überzeugenden Interpretationen führen kann; eine Untersuchung des Geldes als Diskurs kann zu neuen wissenschaftlichen Debatten führen, es bedarf jedoch einer systematischeren Analyse, die Modelle, Entwicklungen, Auseinandersetzungen, persönliche Meinungen sowie soziale Bedingtheiten genauer identifiziert.

Notes

1. J. Lendon, The Face on the Coins and Inflation in Roman Egypt, in Klio 72, 1990, S. 106-134; F. Carlà – M. G. Castello, Questioni tardoantiche. Storia e mito della ‘svolta costantiniana’, Roma 2010, S. 57- 61.

2. Siehe z.B. M. G. Turri, La distinzione tra moneta e denaro. Ontologia sociale ed economia, Roma 2009.

3. N. Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1988, S. 230-271.

4. Nicht zitiert werden hingegen die folgenden wichtigen Aufsätze: A. Cheung, The Political Significance of Roman Imperial Coin Types, in SMBl 48, 1998, S. 53-61; R. Wolters, Die Geschwindigkeit der Zeit und die Gefahr der Bilder: Münzbilder und Münzpropaganda in der römischen Kaiserzeit, in G. Weber-M. Zimmermann (Hg.), Propaganda-Selbstdarstellung-Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jh. n. Chr., Stuttgart 2003, S. 175-204.

5. B. Levick, Propaganda and the Imperial Coinage, in Antichthon 16, 1982, S. 104-116; Ead., Messages on the Roman Coinage: Types and Inscriptions, in G.M. Paul-M. Ierardi (Hg.), Roman Coins and Public Life under the Empire, Ann Arbor 1999, S. 41-60.