Der vorliegende Band stellt die Publikation einer Tagung an der Freien Universität Berlin zum Thema „Gender Studies in den Altertumswissenschaften“ dar. Dabei war der Fokus dieser Tagung speziell auf genderspezifische Repräsentationen von Personen beiderlei Geschlechts in literarischen Textproduktionen sowie bildlichen Darstellungen der Antike gerichtet, mit einen Schwerpunkt auf lateinischen Quellen. In der Einleitung (pp. 1 – 8) definieren die Herausgeber neben einer kurzen Zusammenfassung des Gesamtinhalts den Fachterminus der „Inszenierung“. Dieser ist in Bezug auf die genderspezifischen Repräsentierung von Handlungsträgern Basis aller hier publizierten Beiträge.
Die einzelnen Beiträge sind nach vier Kategorien unterteilt. Die erste mit dem Titel Inszenierungen von Gender und ‚Genre‘ enthält fünf Einzelbeiträge. Dabei werden Diskurse von Gender und verschiedenen literarischen Genres analytisch miteinander verbunden.
Jacqueline Fabre-Serris, „Genre et genre littéraire: Mises en scène et jeux de masques dans l’Héroïde 9 d’Ovide“ (pp. 9 – 23) untersucht anhand einiger Textpassagen von Ovids Heroides, wie sich feminine Vorstellungen von maskuliner Virilität literarisch darstellen konnten. Die Ehefrau des Herkules verurteilt seine Beziehung zu einer anderen Frau (Omphale), nicht aber dessen gewalttätige Aktivitäten gegenüber einer halben Hundertschaft Jungfrauen. Dass Ovid sie dies als Heldentat feiern lässt, ist literarisch zu verstehen und wohl auch mit durch die männliche Verfassersicht verursacht. Das Problem ist hier nicht die letztere Tat, wie aus heutiger Sicht wohl zu erwarten wäre, sondern die sexuellen Einbußen, welche Herakles‘ Frau selbst erleidet, da ihr Mann sich bereits bei der Geliebten verausgabt hat.
Craig Williams hingegen beschäftigt sich in „Cessamus mimum componere? Performances of Gender in Petronius’ Satyricon“ (pp. 25 – 43) mit literarischen Inszenierungen sexueller Handlungen und Anspielungen, die die Hg. „Theatralisierung der Romanhandlung“ (cf. p. 3) nennen. Er bezieht sich dabei auf Gender als „incessant activity performed“ in Anlehnung an Judith Butlers Definition. Dabei unterzieht er verschiedene Szenen aus Petronius‘ Werk einer Analyse, inwieweit sich die römischen Gesellschaftsvorstellungen von maskulinen vs. femininen Rollenbildern und entsprechendem -verhalten in den Handlungen der Akteure wiederfinden. Abschließend stellt Williams fest, dass das gesamte Satyricon eine detailliert durchkonstruierte, performative Handlung nach der Butler’schen Definition darstellt, das letztlich nicht nur innerhalb des Literarischen selbst verbleibt, sondern auch die Rezipienten als Leser oder Zuhörer bei einer recitatio mit einbezieht ( reader response p. 41), vergleichbar wie es bei einer öffentlichen Theateraufführung der Fall wäre.
Judith Hindermann, „Similis excluso a vacuo limine recedo – Plinius’ Inszenierung seiner Ehe als elegisches Liebesverhältnis“ (pp. 45 – 63) analysiert Briefe des Plinius an seine Ehefrau Calpurnia. Dabei überträgt er Motive und Funktionen der Elegie auf die literarische Präsentation seines Eheverhältnisses. Jedoch finden sich keine vollständigen elegischen Topoi wieder, sondern der Fokus ist auf die positiv konnotierte Selbstpräsentation des Plinius mittels im Genre „Brief“ einsetzbarer Stilmittel gesetzt. Damit kann auch der älteren Forschung widersprochen werden, die im Verhältnis der Eheleute noch eine in der Kaiserzeit neu auftretende Idee gleichwertiger Ehebeziehungen sah. Calpurnia agiert stets im Hintergrund (p. 52 f.) und ordnet sich ihrem Mann unter.
Federica Bessone, „Feminine Roles in Statius’ Thebaid: ‘The Heroic Wife of the Unfortunate Hero’“ (pp. 65 – 93) stellt die gegenseitigen Abhängigkeiten der literarischen Gattungen Epos und Elegie in den Fokus ihres Beitrages, verankert an der Argia aus der Thebais des Statius. Darin geht sie der Frage nach, inwiefern weibliche Figuren männliches Rollenverhalten adaptieren, wenn diese ihre Gatten mit der Begründung von amor in den Krieg begleiten wollen. Dies wird in beiden Textgattungen des Öfteren thematisiert. Die Autorin kann herausstellen, dass die Hauptfigur der Untersuchung, Argia, sowohl als typisch feminine Gestalt konstruiert wird, eben diese Rolle im direkten Anschluss daran aber auch durch maskulin geprägte Verhaltensmuster wieder kontrastiert wird. Dies ist in der Thebais mehrfach zu beobachten.
Meike Rühl, „Versteinerte Frauen. Die Inszenierung der Geschlechter in lateinischen Grabreden und -inschriften“ (pp. 95 – 112) ist neben E. Hartmann die einzige Autorin dieses Beitrages, die sich archäologischen Objekten hinsichtlich Genderuntersuchungen widmet. Römische Grabsteine weisen oftmals längere Texte in Form von Reden auf. Hier wird als ein besonders elaboriertes Beispiel die augusteische Grabstele der Turia, auf der ein als Laudatio Turiae bekannt gewordener Text erhalten ist, in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt. Der Fokus dieser Grabrede liegt auf der Betonung von Tugendhaftigkeit der Verstorbenen (Kampf gegen Räuber, Rache für einen Mord, Lebensrettung des Mannes und anders mehr), die eigentlich primär der Sphäre des Maskulinen zugeschrieben wurde. Vielfach deutete man dies als frühkaiserzeitliche Transgression von traditionellen genderspezifischen Verhaltensmustern. Die Autorin kann jedoch aufzeigen, dass dieser Text – offensichtlich vom Witwer der Turia als Verfasser sorgfältig strukturiert – mittels einer textimmanenten Präsentation von Vergangenheit eigentlich doch wieder klassische geschlechtstypische, gesellschaftliche Rollenmuster widerspiegelt.
Im zweiten Abschnitt Inszeniertes Gender-Wissen sind zwei Beiträge vorhanden. Susanne Bickel präsentiert mit „Frauenbilder: Gender-Inszenierung in altägyptischen Lehren“ (pp. 113 – 128) den einzigen ägyptologischen Beitrag dieses Sammelwerkes. Hier sind die sogenannten Lebenslehren im Fokus der Untersuchung. Diese enthalten Richtlinien für korrektes Verhalten im privaten wie öffentlichen Raum und richten sich ausschließlich an männliche Angehörige der sozialen Oberschicht. Trotz des sehr langen Belegzeitraumes von fast zweitausend Jahren ändert sich diese prinzipielle Ausrichtung nicht. Frauen tauchen nur in additionalen Rollen auf, positiv konnotiert als Ehefrau oder Mutter, eher negativ hingegen als generelle Repräsentation des weiblichen Geschlechts in der Rolle der Verführerin. Hier werden also klassische geschlechtsspezifische Rollenklischees bedient, die letztendlich weit über die ägyptische Kultur hinausragen.
Martina Hirschberger, „Frauen Gottes und Mütter in Israel: Debbora, Seila, Eluma und Anna im Liber Antiquitatum Biblicarum („Pseudo-Philon“)“ (pp. 129 – 145): Diese Version einer Nacherzählung der Saulsgeschichte am Ende einer mehrphasigen Übersetzungsgeschichte weist überproportional viele weibliche Akteure aus der biblischen Geschichte auf. Exemplarisch anhand der vier im Titel genannten Gestalten zeigt die Autorin, dass die Konstruktion der Figuren und Handlungen des Liber Antiquitatum Biblicarum für Israel nach der Tempelzerstörung eine Neudefinition versucht, und zwar als „Verkörperung göttlicher Weisheit auf Erden“ (p. 143). Welche Außenwirkung diese Schrift jedoch in der Realität überhaupt gehabt hat, bleibt hingegen offen.
Der dritte Abschnitt ist den Literarischen Auftritten gewidmet. Zuerst untersucht Georg Wöhrle, „‘Als er solche Gedanken in zweifelnder Seele bewegte, / Wallte Helena her aus der hohen duftenden Kammer‘ (Od. 4,120 – 121)“ Inszenierungen weiblicher Auftritte in der Ilias und der Odyssee (pp. 147 – 158). Das Erscheinen femininer Figuren in diesen Werken ist fokussiert auf bedeutsame Protagonistinnen: Zum Einen auf Helena, die in beiden Erzählungen Homers auftaucht und dabei stets als aktiv Handelnde in Erscheinung tritt. Dies betrifft ebenso auch Penelope, die Gattin des Odysseus, namentlich in der Szene ihres Auftritts vor den drängenden Ehekandidaten in Anwesenheit ihres Mannes inkognito. Beide Frauengestalten, die Protagonisten der jeweiligen Handlungen, sind Anlass für unterschiedlich dimensionierte kämpferische Handlungen. Sie werden dabei einerseits als Auslöser für negativ konnotierte Aktivitäten (Krieg bzw. sexuell stimulierendes, „weibliches“ Verhalten) präsentiert, danach aber wiederum relativ zügig von diesen unterschwelligen Anklagen befreit. Letztendlich werden damit beide dieser sogenannten Heroinen dann aber doch wieder in ihre klassische feminine Rolle erzählerisch zurücktransferiert.
Elke Hartmann, „‚Mäntel machen Bürger‘ – Darstellungen von Männern mit Mantel im klassischen Athen“ (pp. 159 – 176) beschäftigt sich mit einem maskulinen Thema, dem athenischen, rein männlich konnotierten Mantel (griech. ἱμάτιον). Im Gegensatz zur bisherigen Forschung, die diesen Mantel wegen seiner uniformen Schlichtheit als nur marginal aussagekräftig für soziale Distinktionen beurteilte, kann die Autorin feststellen, dass dieser jedoch nicht in der Realität verankert war, sondern in Bild und Schrift als Sinnbild des Bürgerstandes und zugleich sittlichen Verhaltens seines jeweiligen Trägers identitätsstiftend wirkte.
Laure Chappuis Sandoz, „Eine Frau auf der kalydonischen Jagd. Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit bei Ovid (met. 8) und in der französischen Übersetzung von Villenave (1807)“ (pp. 177 – 197) hat ebenfalls einen klassischen Text als Grundlage ihrer genderspezifischen Analyse, die Metamorphosen des Ovid. Die Autorin verweist dabei auf die geschlechtliche Rollenverschiebung, als die Jungfrau Atalanta als erfolgreichste Teilnehmerin einer Jagd dargestellt wird. Sie wird von Ovid einerseits als typisch weiblich und begehrenswert inszeniert, aus dem Blickwinkel des interessierten Jagdführers (und auch des Rezipienten), zugleich aber durch ihre so „unweibliche“ Aktivität der klassischen Genderrolle von Frauen dieser Zeit enthoben. Als Gegensatz dazu wird die französische Übersetzung des M. G. T. de Villenave gestellt, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts angefertigt wurde. Mit ihrer durchdachten Übersetzung und kritischen Glossen zur Gendertransgression der weiblichen Jägerin weg vom „klassischen“ Frauenbild kann diese aktive Bearbeitung klar in ihren zeitgenössischen Kontext gestellt werden. In der Zeit Villenaves wurden solche Betätigungen ebenfalls für Frauen als völlig unpassend und als der ihnen zugeschriebenen Gesellschaftsrolle unangemessen interpretiert.
Abschließend findet sich im vierten Abschnitt Genderspezifische Selbst-Inszenierung ein einzelner Beitrag von Barbara Feichtinger über „Er, sie, es erzählt. Zur Inszenierung der Geschlechtlichkeit der Erzähl- persona “ (pp. 199 – 217). Hier untersucht sie die Techniken des Erzählens und der genderspezifischen (Selbst)Präsentation der Erzähl- persona.
Der Sammelband wird abgerundet durch ein Verzeichnis der Autoren (pp. 219 – 220) mit Kurzbiographien (ein Element, das eigentlich in keinem Werk fehlen sollte), einen Index nominum et rerum (pp. 221 – 223) sowie einen Index locorum (pp. 225 – 235). Eine zusammenfassende Bibliographie des gesamten Bandes fehlt leider.
Das vorliegende Werk, das fünfte in der Publikationsreihe von altertumskundlichen Gender-Veranstaltungen an verschiedenen Universitäten zeigt durch die große zeitliche, geographische wie fachliche Bandbreite der einzelnen interessanten Beiträge eindrucksvoll, welch ein umfangreiches und weit verzweigtes Feld die Gender Studies in den Altertumswissenschaften abdecken können und sollten. In dieser Hinsicht sind bislang zahlreiche Bereiche noch nicht oder nur unzureichend untersucht worden. Für eine weitere Intensivierung dieser Studien können die hier publizierten Artikel sicherlich mit beitragen.
Die Paperbackausgabe ist auf gutem Papier gedruckt und mit 28 € erfreulicherweise preisgünstig zu erwerben.