BMCR 2010.02.66

In the Beginning Was the Apeiron: Infinity in Greek Philosophy. Palingenesia Bd. 94

, In the Beginning Was the Apeiron: Infinity in Greek Philosophy. Palingenesia Bd. 94. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2008. 173. ISBN 9783515092586. €40.00.

Table of Contents

Adam Drozdeks Buch ist nach seiner 2007 erschienenen Monographie Greek Philosophers as Theologians: the Divine Arche sein zweites, in welchem er, im chronologischen Durchgang durch die griechische Philosophiegeschichte von den Anfängen bis zum frühen Hellenismus, den für diese Geschichte elementaren Unendlichkeitsgedanken zur Darstellung bringt. Wo er sich aber in dem früheren Werk im Ausgang vom Begriff der ἀρχή mit dem Einfluss eines monotheistischen unendlichen, ewigen Göttlichen auf das griechische Denken befasst, da ist es hier sein erklärtes Ziel, das Unendliche als ἄπειρον in seiner ontologischen, physikalischen bzw. mathematischen Dimension einer historischen Betrachtung zu unterziehen.

In dem knappen Vorwort zu seinem Werk verweist er auf die Problemaspekte des Unendlichen, welche bezeugt werden sollen, i.e. die unendliche Erstreckung und Zeitdauer der Welt, die unendliche Zahl der Welten, die unendliche Teilbarkeit der Materie, die unendliche Zahl von Eigenschaften, die Unendlichkeit nichtphysikalischer, v.a. mathematischer, Konstrukte, und unterscheidet dieses Problemfeld sowohl von dem in dem früheren Werk behandelten theologischen als auch von einem noch abzufassenden, in welchem das Unendliche in anthropologischer Blickbahn (Unsterblichkeit und Eschatologie) historisch zu verorten wäre. Mit dem Ziel, hier in der Hinsicht des genannten Problemfeldes die “views of philosophers on the issue of infinity” (S. 8) in chronologischer Reihenfolge darzustellen, verfolgt Drozdek den Zweck, der Auffassung von einem den Griechen oftmals zugeschriebenen ” horror infiniti” (ebd.) entgegenzuwirken und diese Auffassung, insbesondere was ihre starke Gewichtung von “Zeno’s concerns and Aristotle’s reservations” (ebd.) angeht, durch die historische Darstellung zu relativieren.

Das Buch untergliedert sich, dem Ziel der chronologischen Behandlung entsprechend, in 16 Kapitel, wobei sich an die mit den Standpunkten der Philosophen beschäftigenden Kapitel 1-15 ein 16.Kapitel mit der “Unendlichkeit in der griechischen Mathematik” befasst. Daran schliesst sich ein Personen- und ein Stellenindex der antiken Quellen an. Für die Kapitel 5, 8, 11 und 15 greift der Autor teilweise, für Kapitel 10 vollständig auf bereits durchgeführte Untersuchungen zurück.1 Die einzelnen Kapitel lassen sich unabhängig voneinander lesen und das Buch insgesamt als ein autoren- bzw. schulenbezogenes Nachschlagewerk zum Thema benutzen. Kurze Einführungen präsentieren dabei die Grundeinsichten, leiten über bzw., durch Herausgreifen eines zentralen Problems, in die jeweilige philosophische Position ein oder stellen grössere Zusammenhänge zwischen Denkern bzw. Denkerschulen her.2

Kapitel 1, welches mit Anaximander betitelt ist, untergliedert sich in fünf Abschnitte, wobei sich die ersten vier mit Anaximander selbst, der fünfte aber mit Anaximenes auseinandersetzt. Zunächst interpretiert Drozdek das anaximandrische ἄπειρον als ein Unbestimmtes, im Sinne einer an räumlicher und zeitlicher Grösse unendlichen, unzerstörbaren und für alles Seiende die Quelle bildenden Substanz (1.1). Demnach kann die Annahme einer gleichzeitigen unendlichen Zahl von Welten als eine notwendige Folge dieser Interpretation gelten (1.2). Die Behandlung des theologisch-religiösen Hintergrunds und Ursprungs des anaximandrischen ἄπειρον (1.3) und die Erläuterung der Etymologie dieses Wortes im Sinne dessen, “what cannot be passed over or traversed from end to end” (S. 18), beschliessen den Anaximander betreffenden Teil dieses Kapitels (1.4). Anaximenes aber lehnt sich demnach mit seiner ἀρχή in theologischer Perspektive an Anaximander, in ontologischer Hinsicht an Thales an (1.5).

In Kapitel 2 kommt der Autor auf die Pythagoreer zu sprechen. Dabei zeige sich, dass die Identifikation von Intervallen in der Musik und Bahnen von Himmelskörpern in der Astronomie anhand der wechselseitig feststellbaren Harmonie proportionaler Zahlenverhältnisse zu einer negativen Bewertung des Unendlichen in der pythagoreischen Tafel der Gegensätze geführt habe (2.1). Diese Zuordnung bedeute jedoch nicht, dass das Unendliche im pythagoreischen Universum eine negative Rolle spiele. Denn einerseits lasse sich aus den ἄπειρα wie Zeit, Atem, Leere ein ἄπειρον im Sinne einer positiven, d.h. omnipräsenten Unbegrenztheit herleiten, welche mit der Allgegenwart der Begrenztheit einhergehe (2.2), andererseits könne durch die pythagoreische In-Verhältnis-Setzung von Zahlen und Dingen dem Unendlichen als dem so notwendigen Konstituens der Welt ein positiver Wert zugesprochen werden (2.3).

Das Kapitel 3 befasst sich mit Xenophanes, welcher, so Drozdek, von drei ἀρχαί ausgehe, einerseits von Erde und Wasser, die die räumlich und zeitlich unendliche Welt in ihrer unendlichen Veränderlichkeit und die unendliche Zahl von Welten konstituierten (3.1), andererseits von einem unveränderlichen Gott, für den aufgrund seiner Fähigkeit, alle Dinge zu erschüttern (DK 21 B 25), nicht auszuschliessen sei, dass Xenophanes ihn auch als ein in seiner Grösse und ewigen Existenz unendlichen angenommen haben könnte. Zudem gebe seine Kritik an den unethisch handelnden Göttern Homers und Hesiods Anlass zu der Vermutung, dass er für Gott, neben der aus seiner unendlichen Grösse abzuleitenden Allwissenheit, auch eine Allgüte angenommen habe, wonach seine Rede vom Einen im Sinne einer “co-infinity” (S. 33) von Welt und Gott ausgelegt werden könne (3.2).

Im Kapitel 4 konstatiert der Autor für Heraklit, den “philosopher of πάντα ῥεῖ” (S. 39), unter Verwendung der Fragmente DK 22 B 30, 31, 52, 123 und 17 die Annahme einer ewigen, ungeschaffenen und unvergänglichen, aber endlichen Welt, in welcher der ewige Logos der ewigen erscheinenden Unordnung seine proportional ordnende, verborgene Hand auferlegt habe.

Kapitel 5 setzt sich mit Parmenides, dem Denker des ersten vollständig monistischen philosophischen Systems (S. 40), und Melissos auseinander, dessen Verdienst es wohl gewesen sei, gewisse in diesem System angelegte Aspekte ausdrücklich gemacht zu haben. Dahingehend habe er, so nimmt Drozdek im Ausgang vom eleatischen Gegensatzpaar πεῖρας – ἄπειρον an, die parmenideische, den Perfektionsgedanken metaphorisierende Annahme vom sphärisch begrenzten Sein zu derjenigen von einem gerade nicht unbegrenzten, sondern unendlichen Sein modifiziert (5.1). Diese Modifizierung sei auch durch den unterschiedlichen kulturellen und denkerischen Hintergrund beider Philosophen begründbar, denn wo Parmenides dem Pythagoreismus nahe stehe, da erweise Melissos eindeutig seine Verwandtschaft zum milesischen Denken (5.2). Schliesslich lasse sich der scheinbare Widerspruch bei Melissos zwischen einem an Grösse unendlichen Sein (DK 30 B 3) und der Körperlosigkeit des Seins (DK 30 B 9) dadurch erklären, dass die Rede von der Grösse eine Metapher darstelle (5.3).

Im Kapitel 6 behandelt Drozdek zunächst Zenons Paradoxien, welche zu ihrer gemeinsamen unausgesprochenen Grundlage die Annahme der unendlichen Teilbarkeit von Raum (“Dichotomie”, 6.1; “Achilles”, 6.2) und Zeit (“Der fliegende Pfeil”, 6.3; “Das Stadion”, 6.4) hätten. Diese Paradoxien nimmt er mit Aristoteles als Argumente gegen die Annahme von Bewegung in Bezug auf das parmenideische Sein durch. Auch eine unausgesprochene Annahme der unendlichen Teilbarkeit von Körpern als eines Argumentes gegen die Annahme der Vielheit des parmenideischen Seins könne nach Drozdek im Ansatz nachgezeichnet werden (6.5). Dabei könne jedoch nicht grundsätzlich diese doppelte Unendlichkeit im Sinne einer negativen Bewertung der Unendlichkeit überhaupt innerhalb der eleatischen Philosophie verstanden werden. Die negative Bewertung sei lediglich für die Annahme einer unendlichen Teilbarkeit zu konstatieren (6.6).

Das Kapitel 7 befasst sich mit Empedokles. Dabei kommt Drozdek zu dem Schluss, dass das von Parmenides eingeführte Prinzip “aus nichts entsteht nichts” bei ihm — über das Prinzip der “Unzerstörbarkeit von etwas” und die Annahme der vier ewigen, unendlich teilbaren Elemente und zwei unsterblichen, göttlichen Kräfte — zu der Vorstellung von der Ewigkeit der Welt (“all things as a whole”, S. 58) und des ewigen sukzessiven Entstehens und Vergehens von Welten geführt habe 7.1). Dagegen habe er sich gegen den Gedanken einer in ihrer räumlichen Erstreckung unendlichen Welt gestellt, sie aber wohl in ihrer sphärischen Form für unendlich gehalten, was die mögliche Zahl der von ihr eingeschlossenen Objekte anbelange (7.2).

Im Kapitel 8 kommt Drozdek auf Anaxagoras zu sprechen, indem er zunächst von fünf Grundannahmen ausgeht, welche dem physikalischen Gedankengebäude des Anaxagoras wohl zugrundeliegen könnten (8.1). Dabei kommt er zu dem Schluss, dass für Anaxagoras die Unendlichkeit nicht nur bezüglich der vierten Annahme (“the everything in everything principle”, 8.2), sondern auch in Bezug auf den von ihm formulierten, ordnenden νοῦς Gültigkeit besitze, welcher aufgrund der unendlichen Menge der Materie und der Tatsache, dass überall dort, wo Materie sei, auch der Geist sei, als unendlich gross gedacht werden müsse. Zudem sei in seinem Denken, über die unendliche Teilbarkeit hinaus, auch, wie bei den Eleaten, die Unendlichkeit durch Addition gegenwärtig (8.3).

In Kapitel 9 behandelt Drozdek die Atomisten. Als Grundelemente ihres Denkens bestimmt er dabei die unveränderlichen, ewigen, an Zahl und Formenvielfalt unendlichen, beweglichen und nicht wahrnehmbaren Atome im Sinne einer Unendlichkeitsannahme im mikroskopischen, die unveränderliche und unbewegliche Leere dagegen als die Unendlichkeitsannahme im makroskopischen Bereich (9.1). Aus den Testimonien lasse sich zudem, sowohl für Demokrit als auch für Leukipp, die Annahme der unendlichen Zahl von Welten unterschiedlicher Grösse ableiten, die wiederum aus Objekte oder sogar Welten bildenden Clustern von Atomen bestehen könnten (9.2). Zudem verweise die Einführung der Atome darauf, dass die Atomisten wohl nur eine unendlich grosse räumliche Ausdehnung, nicht aber eine unendlich kleine angenommen haben dürften (9.3).

Im Kapitel 10 stellt der Autor des vorliegenden Werks für Platon das Unendlichkeitskonzept als das unbedingte und notwendige Fundament seines Systems heraus. Sonach gehe Platon im Timaios von der ewigen Existenz eines Demiurgen und einer ewig existierenden ersten Materie in einem ewig existierenden Raum aus, indem er dabei ewig existierende Muster als zur Anwendung gebracht betrachte (10.1). Des weiteren lasse sich, über sein rekonstruierbares Zahlenkonzept hinaus, die Annahme von unendlichen mathematischen Entitäten feststellen (10.2). Ferner komme Platon im Zuge der Diskussion des ἄπειρον im Philebos auf durch ihren Charakter eines “Mehr oder Weniger” einerseits unbegrenzte und nicht messbare qualitative Wesenheiten, wie Schmerz und Lust, zu sprechen, worin die Unendlichkeit ebenso als vorausgesetzt anzunehmen sei, wie andererseits im Hinblick auf den quantitativen, messbaren πέρας -Charakter derselben, welcher beider Charaktere Mischungen die Entitäten darstellten. Somit müsse auch für die Mischungen selbst und deren Ursache der Unendlichkeitsgedanke vorausgesetzt werden (10.3). Dabei aber ergebe sich die Möglichkeit, die Vierfalt von ἄπειρον, πέρας, Mischung und Ursache aus dem Philebos in ein Verhältnis zu setzen zur Vierfalt von Demiurg, Sein, Raum und Werden aus dem Timaios (10.4). Zudem zeige sich für den Gedanken der Zeit das Konzept der Unendlichkeit als vorausgesetzt (10.5). Schliesslich spiele auch für die elementare Erziehung im platonischen Staat die Mathematik als eine Initiatorin des Wissens um das Unendliche eine fundamentale Rolle (10.6).

Im Kapitel 11 behandelt Drozdek Aristoteles, welcher zwar als erster in seiner Physik eine Definition der Unendlichkeit gebe, dessen Unendlichkeitsverständnis jedoch in derjenigen Hinsicht einen Rückschritt darstelle, dass die Unendlichkeit einen unwirklichen Charakter annehme, indem sie zum einen als die Unendlichkeit durch Addition in keiner Weise als existent, zum anderen aber als die Unendlichkeit durch Teilung nur im Hinblick auf ihr Möglichsein und nicht auf ihr Wirklichsein betrachtet werden könne (11.1). Die darin zum Ausdruck kommende Haltung lasse sich im Sinne eines methodischen Ausschlusses der Unendlichkeit als “Aristotle’s razor” bestimmen (11.2). Diese entschiedene Haltung gegenüber der Unendlichkeitsannahme resultiere aber daraus, dass Aristoteles gerade den Physiker als denjenigen bestimme, welcher sich in erster Linie mit dem Unendlichen zu beschäftigen habe. Für den Mathematiker dagegen sei lediglich notwendig, dass die begrenzte Grösse so gross sei, wie er es wünsche (10.3). Daher gelange Aristoteles durch die Betrachtung des συνεχές, des Kontinuums, zu der Einsicht, dass zwar kein wirkliches Unendliches existiere, allerdings ziehe die Annahme, dass das Unendliche in keiner Weise existiere, viele unmögliche Schlussfolgerungen nach sich (11.4). Drozdek behandelt das Unendlichkeitsproblem dahingehend aus seinem Zusammenhang mit der Kausalitätsproblematik (11.5) sowie dem Problem der Ewigkeit bzw. Unendlichkeit von zirkulärer Bewegung und des unbewegten Bewegers als der ersten Ursache dieser Bewegung (11.6). Schliesslich zeige sich, dass der horror infiniti, welcher dem griechischen Denken insgesamt zugeschrieben wurde, zwar in grossem Masse auf Aristoteles zurückgehe, zugleich aber bezeuge gerade Aristoteles, dass sich das Denken der Philosophen vor ihm an der Unendlichkeitsproblematik geschieden habe (11.7).

Im Kapitel 12 widmet sich Drozdek der älteren Akademie, indem er die ungeschriebene Lehre und deren Einfluss auf Speusipp und Xenokrates erläutert. Die ungeschriebene Lehre baue auf den beiden Prinzipien des Einen und der unbestimmten Zweiheit auf, welches zweite Prinzip auch “das Grosse und das Kleine” genannt wurde und so in einer Verbindung zu dem durch das “Mehr oder Weniger” bestimmten ἄπειρον aus dem Philebos stehe (12.1). Sowohl für Speusipps Lehre von den von fünf γένη (12.2) als auch für die drei Substanzen des Xenokrates (12.3) lasse sich die Bedeutung der zwei Prinzipien Platons und seiner ungeschriebenen Lehre nachweisen.

Das Kapitel 13 belegt für die frühen Peripatetiker die grundsätzliche Fortführung des aristotelischen Denkens. Dabei dürfte Theophrast die Ewigkeit einerseits der supralunaren, andererseits der sublunaren Welt angenommen haben (13.1). Eudemos sei allerdings in der Unendlichkeitsproblematik wohl nicht über Aristoteles hinausgekommen (13.2). Stratons Lehre dagegen deute die Annahme der nicht mehr in einen supralunaren und sublunaren Bereich unterteilten, ewigen Welt an (13.3).

Im Kapitel 14 kommt Drozdek auf Epikur und die Epikureer zu sprechen. Dabei erklärt er deren Vorstellung von einem ewigen und unveränderlichen Universum aus ihrem Zusammenhang mit den atomistischen Grundelementen, den Atomen und der Leere, dem “Aus-nichts-entsteht-nichts”-Prinzip und dem Prinzip der Isonomie (14.1), woraus sich letztlich die unendliche Zahl der Welten herleiten lasse (14.2). Demnach sei auch die epikureische Bestimmung des Glücks wesentlich vom Wissen um das Unendliche bestimmt (14.3).

Kapitel 15 beschäftigt sich mit der frühen Stoa, für deren Ontologie das Unendlichkeitsproblem bei der Frage nach der Existenz von Körpern und der sogenannten Subsistenz der körperlosen Entitäten λεκτά, Leere, Ort und Zeit eine Rolle spiele. Die Welt der Stoa zeige sich dabei zwar als eine begrenzte, jedoch zugleich in die unendliche Leere eingelassene (15.1), habe eine unendliche Dauer (15.2), und sie selbst und nahezu alles in ihr stelle ein Kontinuum dar und gestatte daher unendliche Teilbarkeit (15.3). Das Eingelassensein der begrenzten Welt in das Unendliche erfordere aber, um diese kontinuierliche Welt zu verstehen, die Einsicht in das Unendlichkeitsprinzip (15.5). Ferner sei der Gedanke nicht unmöglich, dass auch die stoischen λεκτά in unendlicher Zahl und ewig im Geiste ( ἡγεμονικόν) des stoischen Logos-Gottes subsistierten (15.4).

Das letzte Kapitel 16 thematisiert das Infinitätsdenken in der griechischen Mathematik. Dabei zeigt sich, dass es zwar von Beginn an in der Arithmetik, welche sich noch ausschliesslich mit Natürlichen Zahlen befasste, für selbstverständlich genommen, allerdings niemals als solches zum Gegenstand der mathematischen Analyse wurde. Jedoch mache die auf seiner Proportionslehre aufbauende Zahlentheorie Euklids (16.1), das Problem der Inkommensurabilität (16.2) und der Quadratur des Kreises (16.3) deutlich, in welch hohem Grade die Infinitätsproblematik ihre offenbaren Spuren hinterlassen habe. Schliesslich können zudem aber auch in dieser Hinsicht ausdrücklicher werdende Problemfelder bei Euklid und Archimedes angeführt werden (16.4).

Es ist das Verdienst der Arbeit von Adam Drozdek, in einem noch grösseren historischen Umfang sowie mit einer noch stärkeren thematischen Gewichtung und Stringenz als dies bereits Sinnige getan hat,3 nicht nur die entscheidendste Phase der griechischen Philosophie, sondern auch der Mathematik, ausgehend vom physikalischen und mathematischen Infinitätsgedanken dargestellt zu haben. Dahingehend kann das im Vorwort formulierte doppelte Vorhaben als nach Ziel und Zweck erfüllt betrachtet werden.

Das methodische Vorgehen zeitigt allerdings nicht zuletzt dadurch, dass es nirgends zum ausdrücklichen Thema gemacht wird, vom Standpunkt einer im klassischen und strengen Sinne quellenorientierten Herangehensweise aus betrachtet,4 Besonderheiten, welche erklärungsbedürftig wären. Es zeichnet sich demnach durch einen axiomatisierenden Charakter aus, welcher nach seinen drei Elementen wie folgt beschrieben werden kann: (1) Der Autor leitet zunächst aus den überlieferten Texten (und zwar oft gleichwertig den Testimonien wie den Fragmenten) sinnvolle wahrscheinlichste, mit der thematischen Vorgabe übereinstimmende Grundannahmen des jeweiligen antiken Autors ab, mit deren Hilfe er dann (2) teils die Texte im Hinblick auf den aus den Grundannahmen resultierenden, sinnvollen systematischen Gehalt hin befragt, teils im Anschluss daran wahrscheinlichste, nicht bezeugte Schlussfolgerungen formuliert, welche für den jeweiligen Autor Gültigkeit gehabt haben könnten. Dabei ist (3) von vorne herein als das selbstverständliche Mass des Sinnvollen bzw. Wahrscheinlichsten neben der logischen Folgerichtigkeit unter anderem ein Infinitätsgedanke vorausgesetzt, welcher, wie im Vorwort nur angedeutet, die als modern zu bezeichnende mathematisch-physikalische Vorstellung eines dreidimensionalen Raums und einer eindimensionalen Zeit zur Grundlage hat.

Eine Begründung für die Legitimation dieses Vorgehens, insbesondere was Punkt 3 angeht, bleibt Drozdek dem Leser schuldig. Neben dem Vorwort bilden zwar auch im Hinblick darauf die den Kapiteln vorangestellten Einführungen eine sinnvolle Hilfestellung. Allerdings wäre es ganz im Sinne der erwähnten thematischen Stringenz gewesen, wenn die in den Einführungen immer wieder zum Ausdruck gekommenen, gemeinsamen denkerischen Grundzüge der jeweiligen Philosophien, neben der Erläuterung der genannten Legitimation, in einem ausführlicheren Vorwort bzw. einer Einleitung ihre Darlegung gefunden hätten.5

Notes

1. Da genauere Publikationsangaben fehlen, siehe zu Kapitel 5: “Eleatic Being: finite or infinite?”, Hermes 129 (2001), 306-313; zu Kapitel 8: “Anaxagoras and the everything in everything principle”, Hermes 133 (2005), 163-177; zu Kapitel 10: “Infinity in Plato”, Eos 87 (2000), 51-62; zu Kapitel 11: “Aristotle’s razor”, Diálogos 32 (1997), 181-198; zu Kapitel 15: “Infinity in Chrysippus”, Hermes 130 (2002), 404-415; siehe auch zu Kapitel 1.5: “Anaximenes: theology and physics”, Eranos 102 (2004), 40-45.

2. Warum Drozdek dem Kapitel 12 als einzigem kein solches Vorwort voranstellt, wird nicht klar. Der letzte Absatz dieses Kapitels liesse sich z.B., mit einigen wenigen Veränderungen, durchaus als Einführung verwenden.

3. Siehe Th. G. Sinnige, Matter and Infinity in the Presocratic Schools and Plato, Utrecht: Van Gorcum 1968.

4. Als ein Beispiel für ein solches Vorgehen im ausgezeichneten Sinne kann das Parmenidesbuch von Karl Reinhardt angeführt werden ( Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie, Frankfurt a.M.: Klostermann, 2.Aufl., 1959), welches jedoch im betreffenden Kapitel des vorliegenden Werkes keine Erwähnung findet.

5. Folgende drei Verlesungen konnten bei der Lektüre gefunden werden: “separation” statt “Separation” (S.23, 3.Zeile von unten); “words” statt “worlds” (S.74, 1.Absatz, 1.Zeile von unten); “If” statt “It” (S.81, 3.Absatz, 1.Zeile von unten).