BMCR 2010.02.34

Joseph und Aseneth. Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia 15

, Joseph und Aseneth. Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque pertinentia 15. Tübingen: Mohr Siebeck, 2009. xi, 280. ISBN 9783161501616. €29.00 (pb).

Es handelt sich bei dem Buch um eine zweisprachige Ausgabe der unter dem Titel Joseph und Aseneth bekannten jüdisch-hellenistischen Schrift, die erzählt, wie die in der Bibel nur dreimal (Gen. 41, 45; 50. 46, 20) kurz erwähnte ägyptische Priestertochter Aseneth zur Gattin Josephs werden konnte. Wie bei den Bänden der Reihe SAPERE üblich, gehen dem Text selbst zwei einführende Essays voran; sieben weitere zu für Verständnis und Interpretation des Textes relevanten Themen folgen. Ziel dieser Reihe ist es, Texte der späteren Antike — worunter die Herausgeber das 2.-4. Jhdt. n. Chr. verstehen — einem weiteren Publikum zugänglich zu machen. Obgleich eine Entstehung von Joseph und Aseneth in hellenistischer Zeit — und damit strenggenommen ausserhalb des zeitlichen Rahmens von SAPERE — sehr erwägenswert ist, ist es dennoch erfreulich, dass dieser Text nun in dieser Form vorliegt.

Das Buch beginnt mit einer Einführung von Manuel Vogel (S. 3-31). Vogel bietet eine Inhaltsübersicht und eine Gliederung des Textes. Dann geht er auf die Frage nach Verfasser und Titel des Werkes ein. Die in den Handschriften gegebenen Titel variieren stark voneinander; der ursprüngliche scheint nirgendwo überliefert zu sein. Der heute gebräuchliche Titel findet in der Überlieferung keinen Rückhalt. Vogel vermutet, dass der anonyme Verfasser oder die Verfasserin des Textes aus den Kreisen “des gebildeten ägyptischen, möglicherweise alexandrinischen Judentums” stamme (S. 5). Die Möglichkeit einer weiblichen Verfasserschaft vor Augen zu stellen, scheint ihm ein Anliegen zu sein. Die in der älteren Forschung vertretene These eines verlorenen hebräischen Originals lehnt Vogel ab; die Semitismen des Werkes führt er auf den Einfluss der LXX zurück. Als denkbaren zeitlichen Rahmen für die Entstehung steckt Vogel 150 v. Chr.-115 n. Chr ab, wobei er eine Datierung in die Kaiserzeit favorisiert. Denn Joseph und Aseneth bildet für ihn “die Schnittstelle zwischen jüdischer Novelle und griechischem Roman, namentlich dem Abenteuer- und Liebesroman” (S. 6). In der Gestalt des Joseph sieht Vogel eine “Identifikationsfigur für ein urbanes Judentum, das sich zwischen Abgrenzung und sozialer Interaktion mit der nichtjüdischen Umwelt zu positionieren sucht” (S. 9). Die Verwendung von Motiven mit religiöser Semantik in Joseph und Aseneth, dessen Affinität zur Gattung Roman er stets betont, sieht Vogel primär als literarisches Mittel an. Für das zentrale Anliegen der Schrift hält er “die Legitimation von jüdisch-nichtjüdischen Mischehen” (S. 27). Inhalte hellenistisch-jüdischer Theologie transportiere sie “nur sparsam” (S. 28), und dies vor allem in Zusammenhang mit dem Konversionsthema.

Der Band bietet den 2008 bei de Gruyter erschienenen griechischen Text Uta Barbara Finks,1 bei dem es sich um eine Revision der 2003 bei Brill erschienenen Textausgabe Christof Burchards2 handelt. Im zweiten Essay (S. 33-53) stellt Fink die “Textkritische Situation” von Joseph und Aseneth dar. Nach einem Überblick über die komplexe Überlieferungs- und Editionsgeschichte macht Fink auf die Unsicherheit aufmerksam, mit der die Textkonstitution aufgrund der Überlieferungslage notwendigerweise behaftet ist, und empfiehlt, da der im SAPERE-Band abgedruckte Text keinen kritischen Apparat enthält, die Konsultation ihrer eigenen Ausgabe sowie derjenigen Burchards (S. 42). Das von Fink in Abschnitt 5 ihres Beitrags Dargelegte lässt allerdings die Frage aufkommen, ob nicht der Wunsch nach einer modernen Frauenidealen entsprechenden Aseneth manche textkritische Entscheidung mitbestimmt haben könnte, denn “übertrieben fromm und marienähnlich” (S. 42), wie sie von ihr als spätere Zusätze eingeschätzte und deshalb aus dem Text ihrer Edition entfernte Motive und Wendungen in ihren Augen haben erscheinen lassen, dürfte Fink ihre Aseneth eben gerade nicht gewollt haben. Finks Text stellt einen Versuch dar, den verlorenen griechischen Archetyp zu rekonstruieren; für die Textkonstitution greift sie häufiger auf z. T. schon von Burchard vorgenommene Rückübersetzungen aus (früh)mittelalterlichen Übersetzungen von Joseph und Aseneth zurück, deren Handschriftentradition weiter zurückreicht als die des griechischen Textes selbst. Das Fehlen eines textkritischen Apparates — wie ihn z.B. SAPERE Bd. VII zu bieten hat — erscheint vor diesem Hintergrund besonders bedauerlich.

Der Übersetzung Eckart Reinmuths liegt eine von der heute als Pastorin tätigen Ruthild Pell-John im Jahre 2000 in Rostock gefertigte Arbeitsübersetzung zugrunde. Die Übersetzung ist eng am griechischen Text orientiert. Das Layout erlaubt es, die einander entsprechenden Absätze schnell zu finden, für die Anmerkungen muss man allerdings zum Ende des Übersetzungsteils blättern.

Der Beitrag Reinmuths “Joseph und Aseneth, Beobachtungen zur erzählerischen Gestaltung” (S. 141-157) beschäftigt sich mit der Erzählperspektive und der intendierten Rezeption von Joseph und Aseneth. Viele interessante Informationen und anregende Beobachtungen trägt Jürgen K. Zangenberg in seinem Essay “Joseph und Aseneths Ägypten. Oder: Von der Domestikation einer gefährlichen Kultur” (S. 159-186) zusammen. Für ihn gehen im Ägypten von Joseph und Aseneth“Exotik und Erotik, Glaube und Gefahr … eine einzigartige Verbindung ein” (S. 163). Karl-Wilhelm Niebuhr mit seinem Beitrag “Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth” (S. 187-202) und Christine Gerber mit ihrem Essay “Blickwechsel. Joseph und Aseneth und das Neue Testament” (S. 203-217) nähern sich Joseph und Aseneth aus theologischer Perspektive. Angela Standhartinger steuert ein Essay “Zur Wirkungsgeschichte von Joseph und Aseneth” (S. 219-234) bei, in dem sie einen Überblick über die christliche, jüdische und muslimische Rezeption des Stoffes gibt. Stefan Alkier interpretiert in seinem Beitrag “Wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Überlegungen zu Joseph und Aseneth” (S. 235-241) Joseph und Aseneth vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklungen hellenistischer Zeit. Er kommt zu dem Schluss, es handle sich bei Joseph und Aseneth um “eine Art religiösen Protreptikos, eine missionarische Werbeschrift für das Judentum”, die sich das “Ineinander von Religion, Politik, Wirtschaft und Recht” in dieser Zeit zu Nutze mache, um ein reiches und einflussreiches Publikum anzusprechen (S. 241). Der Roman entstamme einem gutsituierten städtischen Milieu der ausgehenden Ptolemäerzeit. Zwischen Narratologie und Gender-Studies changiert der letzte Beitrag, Brigitte Boothes “Joseph und Aseneth. Der zweite Mann und das weibliche Risiko” (S. 243-257). Ein Literaturverzeichnis und Indices schliessen den Band ab.

Die meisten der Essays dürften wohl eher ein Fachpublikum ansprechen. Doch lohnt Joseph und Aseneth selbst in jedem Fall die Lektüre, so dass das Vorliegen dieses Textes in einer zweisprachigen Ausgabe zu erschwinglichem Preis grundsätzlich begrüssenswert ist.

Notes

1. U. B. Fink, Joseph und Aseneth, Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung (FoSub 5) Berlin / New York 2008.

2. Joseph und Aseneth kritisch herausgegeben von Ch. Burchard mit Unterstützung von C. Burfeind & U. B. Fink, Leiden / Boston 2003.