BMCR 2009.10.28

Alkuin, Vita sancti Willibrordi; Das Leben des heiligen Willibrord

, Alkuin, Vita sancti Willibrordi; Das Leben des heiligen Willibrord. Trier: Kliomedia, 2008. 219. ISBN 9783898901277. €24.90 (pb).

Genaue bibliographische Angaben und ein Inhaltsverzeichnis findet man im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.

Pünktlich zu den Feiern anlässlich des 1350. Geburtstages des hl. Willibrord1 veröffentlichte Dr Paul Dräger, klassischer Philologe aus Trier, seine Edition der Vita sancti Willibrordi (jetzt VSW) von Alkuin.2 Es handelt sich bei dieser Publikation zuerst um eine, recht gelungene, Übersetzung des opus geminum3—d. h. Prosa-Vita und Vita metrica—des Alkuin.

Text und Übersetzung eröffnen die Edition (pp. 9-100), ergänzt durch einen philologischen Kommentar zur Prosa-Vita (pp. 101-134) und zur Vita metrica (pp. 135-166); darauf folgt, erstaunlicherweise, eine längere Einführung, mit Anmerkungen zum Autor und zu seinem Werk (pp. 167-173), zur Form des opus geminum (pp. 173-176), zum Inhalt und Aufbau der Vita (176-182), zu Alkuins literarischem Programm (pp. 182-186), zu den Quellen (pp. 187-191), zu der Überlieferung und zum Nachleben (pp. 191-193), zur Sprache und zum Stil (pp. 193-202), zur Metrik und Prosodie der Vita metrica (pp. 202-205) und in fine zum Text, zur Übersetzung und zum Kommentar (pp. 205-210). Indices (pp. 211-213) sowie ein kurzes Literatur und Abbildungsverzeichnis (pp. 215-219) schliessen die Edition.

Wie schon angemerkt ist die Anordnung der verschiedenen Kapitel ungewohnt. Wohl um hervorzustreichen, dass Text und besonders Übersetzung den wichtigsten Teil des Buches darstellen, hat der Autor sie an den Anfang gesetzt und die Einführung an den Schluss. Das ist irreführend und unbequem für den Leser, der es erwartet, durch eine gehaltvolle und klare Einführung, wie Dräger sie ja auch geschrieben hat, zum Text hingeführt zu werden.

Dräger wollte eine Leseausgabe der Vita Willibrordi liefern (VSW: 205) und hat daher sein Hauptaugenmerk auf die Übersetzung gerichtet und den lateinischen Text, der aus den älteren kritischen Ausgaben von Krusch/Levinson für die Prosa-Vita4 und Dümmler5 für die Vita metrica übernommen wurde, etwas vernachlässigt. Das ist schade: Dräger ist ein guter Philologe und vielleicht hätte eine Durchsicht der wichtigsten Handschriften doch noch bessere Lesearten hervorgebracht.6 Zu bemängeln ist auf jeden Fall, dass Dräger nicht die letzte kritische Ausgabe der Prosafassung der Vita Willibrordi benutzt hat, die 2003 von Christiane Veyrard-Cosme (pp. 30-75)7 veröffentlicht wurde. Dieselbe Arbeit sowie die Monographie von Professor I Deug-Su, L’opera agiografica di Alcuino, Studi medievali : Biblioteca degli Studi medievali 13. Spoleto: Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, 1983, hätte der Autor auch in seinem Kommentar und seiner Einführung zur Vita verarbeiten können.

Kurz zu einigen minora:

—Die Anmerkungen zur Sprache und zum Stil im Kommentarteil und in der Einführung sind im allgemeinen korrekt und gehaltvoll; man vermisst jedoch systematische Verweise auf das vortreffliche Handbuch zur Sprache des lateinischen Mittelalters von Peter Stotz,8 die es ermöglicht hätten, die interessante Sprache Alkuins, die man wohl zwischen dem Latein der Merowingerzeit und dem klassizistischen Latein der karolingischen Renaissance ansiedeln muss, genauer einzuschätzen.

—In der deutschen Uebersetzung ist jede Hinzufügung, auch wenn sie syntaktisch unvermeidlich ist, jede Erläuterung zum lateinischen Text zwischen spitze oder runde Klammern gestellt: Et erit in loco, ubi dicetur eis: Non populus meus vos; Und es wird an einem Ort sein, wo ihnen gesagt werden wird: Nicht mein Volk [seid] ihr; (VSW: 34; 35); Est in Treveris civitate monasterium puellarum: Es gibt in der Bürgerschaft (Stadt) Trier ein Mädchen-Kloster (VSW: 42; 43). Ne quid nimis ! Die zahlreichen Klammern hemmen den Lesefluss und fügen kaum etwas zur Genauigkeit der Übersetzung bei.

—Bemerkungen, wie VSW 107: “glitt er (lapsa): Wattenbachs groteskes ‘stuerzte mit schnellem Lauf ein Stein in ihren Mund’, beruht auf mangelnden Latein-Kenntnissen …” VSW 205 : “allerdings habe ich auf die Benutzung der digitalisierten Fassung der AASS … , dem Vernehmen nach an so exotischen Orten wie Indien oder Malaysia getippt, nach meinen katastrophalen Erfahrungen mit der Helena-Vita Almanns … von vornherein verzichtet.” sind zum Teil sachlich falsch und gehören sicherlich nicht in eine wissenschaftliche Publikation.

Das Hauptverdienst der Arbeit Drägers ist ohne Zweifel die Übersetzung. Der Autor hat mit Intelligenz, Methodik und Sprachgefühl für das Deutsche eine wortgetreue und trotzdem lesbare Übersetzung der Vita Sancti Willibrordi vorgelegt: “[meine Übersetzung] bemüht sich … ein möglichst authentisches Abbild des Lateinischen zu sein, jedoch immer mit Blick auf die durch die deutsche Stilistik gesetzten Grenzen (VSW 207)”. Ein kurzer Vergleich mit der Übersetzung Reischmanns9 zeigt deutlich die Qualitäten der Arbeit Drägers.

—Alkuin, Lat.: Iterum sanctus Dei sacerdos in quodam loco iter agens vidit mendicantes inopes duodecim pariter postulantes sibi aliquid a praetereuntibus solacii. Quos, ut fuit mitissimus, benigno aspexit animo unique ex suis mandavit specialem suam flasconem sumere ac pauperibus miscere Christi.

—Übersetzung Dräger 39: Als der heilige Priester Gottes wiederum an einem gewissen Platz eine Reise unternahm, sah er zwölf mittellose Bettler, die zugleich für sich von den Vorübergehenden eine Erquickung forderten. Diese aber blickte er—sehr sanft, wie er war—mit günstigem Sinn an und beauftragte einen der Seinigen, seine besondere Flasche zu nehmen und sie für die Armen Christi zu mischen.

—Uebersetzung Reischmann 71: Als der Heilige wiederum in einem Ort seine Tour machte, sah er zwölf mittellose Bettler, die zusammen von den Passanten Almosen erbaten. Mildtätig wie er war, blickte er sie gütigen Geistes an und beauftragte einen der Seinen, seinen persönlichen Krug zu holen und ihn für die Armen zu füllen.

Da Drägers Übersetzung streng dem lateinischen Text folgt, mögen dem Leser bei der ersten Lektüre einige Syntagmen ungewohnt erscheinen; der Text, in korrektem Deutsch verfasst, bleibt jedoch verständlich. Verglichen mit Drägers Übersetzung ist Reischmanns Text zuerst moderner, gefälliger; er ist aber auch stilistisch unausgewogen—Der Heilige macht eine Tour und die Passanten bitten um Almosen —und weit, manchmal zu weit, vom lateinischen Urtext entfernt —Dräger 207, 216 spricht von Paraphrase, was meiner Ansicht doch übertrieben ist: So wird z.B. das lat. flasconem miscere—Wein in der Flasche mit Wasser mischen—bei Reischmann falsch mit “er lässt einen Krug füllen” übersetzt.

Dräger hat sicherlich sein Ziel, eine wissenschaftliche Leseausgabe der Vita Sancti Willibrordi vorzulegen, erreicht. Es bleibt zu hoffen, dass er weiter in der Willibrordus-Forschung arbeitet und sich vielleicht an die ungleich schwierigere Aufgabe der Übersetzung der Vita Sancti Willibrordi des Thiofrid10 heranwagen wird.

Notes

1. Zu Willibrord, cf. Art. Willibrord in BBKL XVIII (2001) Spalten 1522-1530 (Autor: Emile Seiler).

2. Zu Alkuin, cf. Art. Alkuin in BBKL I (1990) Band I (1990) Spalten 118-119 (Autor: Friedrich Wilhelm Bautz).

3. Zur Form des opus geminum, cf. Walter, Ernst, Opus geminum : Untersuchungen zu einem Formtyp in der mittelalterlichen Literatur. Diss Erlangen-Nürnberg, 1973 und VSW: 173-176.

4. Krusch, Bruno, und Wilhelm Levinson, Vita Willibrordi archiepiscopi Traiectensis auctore Alcuino. In Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici. MGH Scriptorum rerum Merovingicarum tomus VII. Hannover, Leipzig 1920. http://www.mgh.de/dmgh/resolving/MGH_SS_rer._Merov._7_S._81.

5. Dümmler, Ernest, De vita sancti Willibrordi episcopi. In MGH: Poetae latini aevi Carolini. Tomus I: Alcuini carmina. Berlin 1881.

6. Einen Überblick über die wichtigsten Hs. der Vita Willibrordi kann man sich leicht auf der Internetseite der Bibliotheca Hagiographica Manuscripta zusammenstellen.

7. Veyrard-Cosme, Christiane, und Alcuinus Flaccus Alcuin, L’oeuvre hagiographique en prose d’Alcuin : Vitae Willibrordi, Vedasti, Richarii, Per verba. Tavarnuzze (Firenze): SISMEL, Ed. del Galluzzo, 2003; cf. ebenfalls: Müller, Gabriele, Alcuin, Vita Sancti Willibrordi, Livres I et II. Traduction suivie d’études sur la langue, la thématique et les citations, Faculté de Philosophie et Lettres. Philologie classique, Université de Liège, Liège 1986-1987.

8. Stotz, Peter, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, Handbuch der Altertumswissenschaft ; 2. Abt., 5. T., 5 Bde. München: Beck, 1996.

9. Reischmann, Hans-Joachim, Theofridus, und Alcuinus, Willibrord – Apostel der Friesen : seine Vita nach Alkuin und Thiofrid : lateinisch – deutsch. Sigmaringendorf: Regio Verlag Glock und Lutz, 1989.

10. Zur Vita des Thiofrid, cf. Art. Willibrord in BBKL XVIII (2001) Spalten 1522-1530 (Autor: Emile Seiler).