BMCR 2008.04.03

Augustus und die Juden. Rechtsstellung und Interessenpolitik der kleinasiatischen Diaspora. Studien zur Alten Geschichte, 6

, Augustus und die Juden : Rechtsstellung und Interessenpolitik der kleinasiatischen Diaspora. Studien zur alten Geschichte ; Bd. 6. Frankfurt am Main: Verlag Antike, 2007. 436 pages ; 23 cm.. ISBN 9783938032169. €54.90.

Der vorliegende Band stellt die überarbeitete Fassung der im Jahre 2005 an der Freien Universität Berlin eingereichten Habilitationsschrift der Verfasserin (S.) dar. S. setzt sich zum Ziel, die rechtliche Stellung der Diasporajuden in Kleinasien im frühen Prinzipat zu beleuchten und dabei die Glaubwürdigkeit und Detailgenauigkeit ihrer Quellenbasis, der Überlieferung des Josephus, kritisch zu hinterfragen. Da S. darüber hinaus auch darauf abzielt, am Beispiel der Juden zu klären, ob es im Römischen Reich zu Veränderungen im Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten kam, nimmt sie1 mit rechtshistorischem Schwerpunkt insbesondere die Organisation der Verwaltung und der Rechtsprechung im Prinzipat in den Blick. Die Analyse der jüdischen Beschwerden über Rechtsverletzungen und der Reaktion der römischen Behörden darauf soll die Frage klären, ob es sich im Vergleich zu anderen nichtrömischen Gemeinschaften beim Verhältnis der Römer zu den Juden um ein Sonderverhältnis handelte.

Nach einem Überblick über die Forschungsgeschichte und einer kurzen Darstellung der politischen Verhältnisse in Kleinasien seit 133 v. Chr. skizziert S. die rechtliche Stellung der kleinasiatischen Städte nach ihrer Eingliederung in das Römische Reich. Dies ist insofern von Bedeutung, als die Rechte und Pflichten der Diasporajuden als Einwohner dieser Städte durch lokales oder römisches Recht geregelt war, wobei sich durchaus einheimisches und römisches Reichsrecht gegenüberstehen konnten. Das Judentum war eine religio licita; allerdings war die Rechtsstellung der jüdischen Gemeinden nicht einheitlich geregelt. In den civitates liberae mit weitgehender Autonomie griff das Reichsrecht mit der Religionsgesetzgebung nicht. Berücksichtigt werden daher Kompetenzen lokaler Gerichte, Instanzenweg und Interventionsmöglichkeiten des princeps.2

Im Rahmen der Darstellung der häufigsten Streitpunkte zwischen Juden und Griechen in den kleinasiatischen Städten beschäftigt sich S. besonders mit dem Josephus-Bericht über das Gerichtsverfahren vor M. Agrippa. S. versucht die verschiedenen prozessualen Phasen zu rekonstruieren, arbeitet die Anwendung der durch das römische Prozessrecht vorgegebenen Rechtsmittel einerseits wie auch die Bedeutung informeller Einflussfaktoren (persönliche Kontakte und Verpflichtungen aus Klientelverhältnissen) andererseits heraus und richtet ihr besonderes Augenmerk auf die Einbindung der Juden in Beziehungsgefüge.3

Konflikte entzündeten sich immer an denselben Punkten:

Abgaben für den Jerusalemer Tempel, wobei hier Konflikte wohl aus der infolge der Bürgerkriegswirren prekären finanziellen Lage der Städte Kleinasiens resultierten; Feiertage (Einhalten der Sabbatruhe); Schutz von Kultorten und -gegenständen; Versammlungsrecht; Militärdienst.

Da S. vor dem Dilemma steht, dass sich erst für die hohe Kaiserzeit und die Spätantike die Quellenlage günstiger darstellt, zieht sie in hohem Masse u.a. spätantike Quellen hinzu, wobei sich insbesondere bei den Rechtstexten durchaus die Frage stellt, ob jeweils Rückprojektionen in die augusteische Zeit zulässig und möglich sind.

Einen Wert der Arbeit stellt es sicherlich dar, die von Josephus berichteten Konfliktfälle, die unter Mitwirkung römischer Instanzen entschieden wurden, im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit als prozessuale Zeugnisse erkannt und in die römische Provinzialjurisdiktion der Zeit eingeordnet zu haben.

Insgesamt wirft die Arbeit ein Schlaglicht auf die Rechtsprechung als Instrument zur Durchsetzung römischer Herrschaftsinteressen. War schon die Judenpolitik Caesars im Rahmen der Klientelbemühungen im Konflikt mit dem im Osten als patronus bestens verankerten Pompeius zu sehen, sind auch die Massnahmen zugunsten der Juden seit Augustus unter Massgabe ihrer politischen Nützlichkeit zu beurteilen.

Wenn S. Reformen in der Reichs- und Provinzialverwaltung, Neuerungen im römischen Verfahrensrecht sowie die augusteische Herrschaftspraxis und -ideologie4 analysiert, zeigt sich immer wieder, dass die einheitliche Linie römischer Politik gegenüber den Juden auf die Stabilisierung innerstädtischer Verhältnisse im römischen Staatsinteresse mit pax gentium als ideologischer Rechtfertigung abzielte.5 Diese augusteische Judenpolitik, die Ausdruck der augusteischen Herrschaftsideologie war, wurde durch die Prinzipatszeit bis in die Spätantike rezipiert.6

Weit über den ursprünglichen Untersuchungsgegenstand hinausgehend, vermittelt S. ein facettenreiches Bild des jüdisch-römischen Verhältnisses bis in die Spätantike sowie der augusteischen Judenpolitik und ihrer Rezeption, überzeugt auch durch ihren fächerübergreifenden Ansatz, lässt aber streckenweise im Bemühen die ganze Bandbreite jüdischen Lebens in der Antike zwischen Ausgrenzung und Integration in den Blick zu nehmen, die innere Geschlossenheit vermissen.7

Ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Register der Begriffe und Sachen, ein Namens- und Sachregister, ein Register der geographischen Begriffe und ein Quellenverzeichnis beschliessen den Band.

Notes

1. zeitlich und thematisch weit über das eigentliche Thema hinausreichend.

2. zudem werden die Charakteristika des Formularprozesses und des Kognitionsverfahrens erklärt.

3. zum besseren Verständnis der Einflussmöglichkeiten des Herodes fügt S. einen erhellenden Exkurs über das Verhältnis zwischen Herodes und Augustus an. So ist die Klage der ionischen Juden und die direkte Konsultation des höchsten Gerichts unter Übergehung des zuständigen Statthalters nur durch persönliche Beziehungen (Herodes/Agrippa) zum Kaiser erklärbar.

4. Vergil Aeneis 6,847-53 wird nicht rezipiert; insgesamt wird die Herrscherideologie des Augustus eher topisch referiert.

5. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Nikolaos von Damaskus in seinem Plädoyer vor Agrippa auf die im pater patriae -Konzept enthaltenen Herrschertugenden Bezug nimmt. Eindämmung von Willkür als Ausdruck der iustitia passt genau in die augusteische Herrschaftsideologie.

6. Es erscheint allerdings fraglich, ob S. wie z.B. S.313 berechtigterweise von “Gesetzgebung zum Vorteil der Juden” spricht; war doch dies sicherlich nicht der Aspekt, den Augustus und seine Nachfolger im Auge hatten. Letztlich erscheint die kaiserliche Judenpolitik als Ergebnis kaiserlichen Herrschaftsinteresses.

7. Mehrere informative und erhellende Exkurse wie z.B. “Das jüdische Patriarchat im 4. und 5. Jh. nach Chr.” und “Die Bedeutung der Rechtsprechung in der späteren Kaiser-Panegyrik” lassen das grosse Spektrum des Bandes erkennen.