BMCR 2008.01.57

Kastraki. Un sanctuaire en Laconie, École française d’Athènes. Études péloponnésiennes 12

, Contrôle économique et administration à l'époque des palais mycéniens (fin du IIe millénaire av. J.-C.). Bibliothèque des écoles françaises d'Athènes et de Rome ; 332. Paris: Ecole française d'Athènes, 2009. 696 pages : illustrations (some color), maps ; 30 cm.. ISBN 9782869582156. €80.00.

Das Buch von J. de La GenièreLa Genière und ihrer Mitarbeiter publiziert die Ergebnisse der 1988-1990 und 2001-02 unternommenen Ausgrabungen bei Kastraki im südlichen Lakonien. Das Areal, an der Ostküste des lakonischen Golfes nahe der Gemarkung Kokkinia gelegen,1 wurde bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert von französischen und englischen Forschungsreisenden besucht und mit dem Städtchen Akriai bei Pausanias (3,22,4-5) in Verbindung gebracht, als dessen grösste Sehenswürdigkeit der Perieget eine Kultstätte der Meter (theon) hervorhebt.

Das vorliegende Buch beginnt mit einer Erörterung der Zeugnisse für den Meterkult in Lakonien (p. 5-8, “La presence de la mere aux abords de l’Eurotas”). Die Funde bei Kastraki liessen jedoch eine Identifizierung des Kultadressaten nicht zu, so dass die Idee, das Meter-Heiligtum von Akriai ergraben zu haben, eine ansprechende und naheliegende Vermutung bleibt, solange keine weiteren und eindeutigen Zeugnisse — Votivinschriften etwa oder die für Meter / Kybele typischen Sitzfiguren — auftauchen. Die Überlegungen von La Genière erbrachten hingegen ein wichtiges Ergebnis zur Sakraltopographie: Die Überreste der teilweise aus Spolien erbauten Kapelle des Haghios Nikolaos in der Küstenebene markieren nicht, wie die frühen Reisenden meinten, den Ort eines antiken Heiligtums, denn sie stand nicht auf einem Tempelfundament (p. 12). Ihre antiken Bauteile waren wohl vom nahegelegenen Kastraki-Hügel hierher verbracht worden und gehören damit zum von La Genière untersuchten, extraurbanen Heiligtum von Akriai.

La Genières Untersuchung bietet zunächst eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Bereiche des Grabungsareals (p. 14-17, mit Steinplan nach pl. 48) und diskutiert dann stratigraphische Probleme, allerdings mit negativem Ergebnis, denn eine tragfähige Stratigraphie liess sich nicht erarbeiten (p.17-18; 28). Der gut fünfzigseitige Fundkatalog (p. 21-73) ordnet die Ausstattung des Heiligtums nach Materialgattungen und zeigt die Architekturfragmente in Stein und Ton (Akroter und Antefix, gestempelte Dachziegel), die Metall-, Glas- und Keramikobjekte (Terrakottafigurinen, Gebrauchskeramik (p. 47-48), Öllampen) in durchwegs guten Schwarz-Weiss-Abbildungen und Zeichnungen. Die Münzen wurden von O. Picard analysiert und interpretiert (Katalog p. 67-69; Interpretation 71-73).

Die Geschichte des Heiligtums lässt sich anhand der aus allen Fundgattungen kombinierten Information folgendermassen rekonstruieren (p. 75-78):

Die frühesten Funde stammen aus spätgeometrischer Zeit; eine erste Ausbauphase ist fassbar in der Archaik, als – wohl im 6. Jh. – ein kleiner Tempel oder ein überdachter Schrein für das Götterbild errichtet wurde, dem die Akroterfragmente, ein kleines Poroskapitell und eine stark fragmentierte Säulenbasis zuzuordnen sind. Noch in der zweiten Hälfte des 6. Jh. erfuhr das Temenos eine stärkere Monumentalisation, wovon vier dorische Kapitelle (drei von Kastraki, eines von Kokkinia — vielleicht Überreste eines repräsentativen Propylon im Westteil der Anlage) überdauerten. Ausserdem finden sich Felsabarbeitungen für einen grossen, rechteckigen Altar. Das Votivmaterial dieser Zeit (vor allem Aryballoi, Lekythen) weist vage hin auf libationsartigen Riten.

Für die klassische Zeit fehlen Funde aus dem Heiligtum fast vollständig; auch Bautätigkeit ist nicht nachweisbar. Zwei Bronzemünzen aus Sizilien weisen auf irgendeine, für uns nicht klar qualifizierbare Aktivität, aber man muss sicherlich die Möglichkeit offen halten, dass einige der nur in grobem Rahmen datierbaren Objekte (etwa einfache Gebrauchskeramik) in diese Periode fallen.

In hellenistischer Zeit erfuhr das Heiligtum eine Neugestaltung: im Südwesten der Anlage wurde ein rechteckiges Gebäude mit einer Säulenhalle errichtet, wobei als Gebäudeschmuck vielleicht die Gorgoneia und die Widderschädel in Tonrelief dienten. Votive lokaler Provenienz sind nun häufig. Keramik wie auch Münzen aus dem Heiligtum erweisen als die Zeit intensivster Nutzung das 2. und 1. Jh. v. Chr., danach zeigen sie ein rapides Nachlassen an. Libationsriten sind anhand der hellenistischen Keramik, die bei Gefässen oft einen durchbohrten Boden und bei Statuetten häufig eine tubenartige Form aufweist, gut wahrscheinlich zu machen, und grosse Mengen an Gebrauchskeramik lassen an rituelle Mahlzeiten bei Tage denken, während nächtliche Riten durch Lampenfunde — seit der römischen Kaiserzeit — nachweisbar sind.

Nach dieser intensiven Nutzungsphase ist nur noch eine Umbaumassnahme unklarer Zeitstellung erkennbar, in der Architekturteile archaischer Zeit benutzt wurden, um Säulenzwischenräume zu schliessen. Zu Pausanias Zeit lässt sich keinerlei Aktivität fassen, und auch das Ende der Nutzung des Heiligtums war offenbar unspektakulär und ist am archäologischen Fundmaterial kaum abzulesen.

Die Hauptnutzungsphasen in archaischer und hellenistischer Zeit entsprechen einem Trend, der für die Landschaft Lakonien insgesamt nicht untypisch erscheint und nur die grossen, bedeutenden Heiligtümer bei oder in den grösseren Siedlungszentren ausnimmt, die durchaus Aktivitätsphasen in der römischen Kaiserzeit aufweisen. La Genière fragt daher zurecht nach dem politischen Kontext des Städtchens Akreiai (p. 80-81, in dieser Schreibweise wohl auf den Dachziegel-Stempeln des 1. Jh. v. Chr.) in dieser Spätphase und zieht versuchsweise eine Verbindungslinie zwischen der Zugehörigkeit von Akreiai zum Koinon der Eleutherolakonen und der Absenz von Votivmaterial auf Kastraki in römischer Zeit (siehe aber p.80 n.164 zur möglichen Änderung des Votivbrauches, zu einer alternativen Deutung).

Eine kurze Appendix (p. 83-84 mit pl. 48) zu Lesefunden aus , einem Feld am Rande der Kokkiniaebene, publiziert keramische Miniaturgefässe, wie sie auch in Zentrallakonien in Sparta und beim Menelaion zutage kamen. Dies bindet die sakralen Aktivitäten in Südlakonien ein in den regionalen Votivbrauch.

Das Heiligtum auf dem Kastraki bei Akreiai war ein extraurbanes, ein ländliches Heiligtum (p. 80) mit hauptsächlich lokalem und regionalem Einzugsbereich. Selten werden derartig kleine Fundstätten mit vergleichbarer Akribie publiziert. Schon deshalb ist die vorliegende Monographie für die sakraltopographische und die religionshistorische Forschung hchst willkommen. Sie bietet ausserdem eine tragfähige Basis für weitere, vergleichende Forschungen an kleinen Heiligtümern auf der Peloponnes, wie sie erst in den letzten Jahrzehnten intensiviert wurden.2

Notes

1. Cf. Cavanagh, W. / Crouwel, J. / Catling, R.W.V. / Shipley, G.: The Laconia Survey, vol. II (1996) 308-9 s.v. Kokkinia (MM 219); zum Kontext: Cavanagh, W. / Crouwel, J. / Catling, R.W.V. / Shipley, G.: The Laconia Survey, vol. I (2002).

2. Baumer, E.L.: Kult im Kleinen. Ländliche Heiligtümer spätarchaischer bis hellenistischer Zeit. Attika — Arkadien— Argolis — Kynouria. Rahden 2004.