Der Tod ist sicher das grösste Mysterium für den Menschen. Jede Kultur, jede Zeit und jede Gesellschaft haben eigene Erklärungsversuche des eigentlich Unerklärbaren entwickelt und diskutiert. Ziel der vorliegenden Publikation der Londoner Professorin Catharine Edwards (= E.) war es, den speziell römischen “Way of Death” darzulegen — so liessen zumindest Titel und Klappentext vermuten.
Der Aufbau des Buches wird umfassend in der “Introduction” (1-16) dargelegt die eigentliche Fragestellung in (5) präzisiert: Warum hatte die Darstellung des Selbstmords des jüngeren Cato eine solch weit reichende Nachwirkung in Literatur, Politik und Philosophie? Und: Lässt sich aus der Bearbeitung dieser Fragestellung Grundsätzliches zur genuin römischen Einstellung zu Selbstmord und Tod gewinnen und daraus folgend Erkenntnisse zum “römischen Wesen” im Allgemeinen und zu Verhaltensweisen von Kulturgesellschaften in der Konfrontation mit dem Phänomen Tod überhaupt?
Entsprechend umfassend ist die Herangehensweise. Das erste Kapitel (Dying for Rome? The glorious death of a commander (19-45)) behandelt in erster Linie den Tod im Krieg, den Unterschied zwischen Griechen und Römern bei der Bereitschaft zur Glorifizierung dessen (21-22), das Selbstopfer des Feldherrn am Beispiel der devotio des P. Decius Mus (25-27) sowie die Frage, ob es im Bürgerkrieg (den Lucan nach E. als “Staatsselbstmord” interpretiert) überhaupt Heldentode geben kann (28-35). Zum Ende hält sie den Massenselbstmord des Vulteius und seiner Leute (Lucan, BC 4, 476ff) der devotio des Decius Mus entgegen.
Dem Tod als Schauobjekt und der Ambivalenz des Gladiators zwischen Verachtung (49-51) und Bewunderung (59-75), welche weit gehend auf der Todesverachtung des Kämpfers basiert, widmet sich E. in Kapitel 2 (Death as spectacle. Looking at death in the arena (46-77)). Diese Tapferkeit, für die der Gladiator in der Philosophie von Cicero bis Seneca oft als Metapher steht, sieht E. als Parallele zu Cato: auch er sei aufrecht und tapfer trotz sicherer Aussicht auf die Gnade Caesars in den Tod gegangen.
Als Grund für diese Leistung nannte die zeitgenössische Philosophie die Überwindung der Angst vor dem Tod durch Cato, eines der zentralen Themen der römischen Geisteswelt überhaupt. Zu recht ist diese Frage Thema eines eigenständigen Kapitels (Ch. 3: Fighting the fear of Death (78-112)) in dessen Mittelpunkt wenig überraschend Lucrez (79-84) und vor allem Senecas ep. Mor. (86ff) stehen, dessen eigener Tod in der Darstellung des Tacitus bewusst dem des Cato nachempfunden wurde (110).
Das politische Moment als Begründung des Selbstmordes bleibt im Mittelpunkt von Ch. 4: Defiance, complicity and the politics of self-destruction (113-143) und wird durch weitere Motivationen erweitert: (ehrenvolle) Alternative zur Todesstrafe (117), Zuvorkommen eines Schuldspruchs, um Auswirkungen auf die Familie zu verhindern (119). Dass auch der explizite Verzicht auf Selbstmord als Protest gegen ungerechte Kaiser verstanden werden kann, bemerkt sie im Hinblick auf Agricola, wie er bei Tacitus dargestellt ist (125), nimmt der diesbezüglich problematischen Quelle (Ziel des Tacitus war eben, seinen Schwiegervater vom Vorwurf, ein rücksichtsloser Karrierist unter Domitian gewesen zu sein, rein zu waschen) aber später selbst die Wirkungskraft (133). Dass generell Skepsis bei Erzählungen berühmter Tode angebracht ist, weil viele scheinbare Details literarischen Topoi oder der Stilisierung des Protagonisten geschuldet ist (Der Tod als “reinster Augenblick des Lebens” (Zitat Barthes); 142), deutet E. ebenfalls an (139-142).
Parallelen zwischen einem derart stilisierten Sterben und dem öffentlichen Schauspiel liegen auf der Hand, und je bedeutender die sterbende Person, desto grösser ist das Publikum. Dem geht E. in Kapitel 5 (Dying in Character. Stoicism and the Roman death scene (144-160)) nach. Tief verwurzelt in stoischem Gedankengut war demnach der Vorbildcharakter des eigenen Todes, weshalb man bestrebt war, den typisch stoischen Verhaltensweisen wie einem Drehbuch zu folgen (147-151) bis der “letzte Vorhang” fiel (152) — die Idealbesetzung dieses Spiels blieb freilich Cato (154-159).
Ein wenig überraschend ist die gelegentliche Thematisierung des Todes im Rahmen römischer Festmähler Gegenstand des sechsten Kapitels (Tasting death (161-178)). Die berühmtesten Beispiele dafür sind fraglos das “schwarze Gastmahl” des Domitian (162-167) sowie die chaotisch endende cena Trimalchionis (167-171). Senecas Beschwerden, wer sich der hemmungslosen Genusssucht hingebe, der sei bereits gestorben, darf natürlich nicht fehlen (172-176).
Die Thematik Selbstmord wird im folgenden Kapitel wieder aufgegriffen, und zwar in der und aus der weiblichen Perspektive (Ch. 7: A feminine Ending? (179-206)). Berühmte Beispiele finden sich auch hier, allen voran der Selbstmord der Lucretia (180-183; 189-191), dessen Wirkungsmacht nahezu als weibliches Äquivalent zu Cato gesehen werden kann. Ausgiebig widmet sich E. zudem der Frage der Vergleichbarkeit der Begriffe virtus und pudicitia (187-191). Die Bedeutung der Sexualität, insbesondere die Vergewaltigung als Auslöser von Selbstmord, zieht sich als roter Faden durch das gesamte Kapitel.
Den Abschluss bildet Kapitel 8: Laughing at death? Christian Martyrdom (207-220), in dem Parallelen und Unterschiede, Beeinflussungen und Abgrenzungen zwischen der römisch-paganen Einstellung zum Tod und der christlichen Sichtweise, wie sie die Kirchenväter vermitteln, herausgearbeitet werden sollen. Überschneidungen finden sich demnach insbesondere mit dem Denken Senecas und seiner Lehre vom Vorrang der passiven Leidensfähigkeit (patientia) vor der (männlich-)aggressiven Tapferkeit (andreia) (216). Mit der Feststellung, die Aussicht auf das Himmelreich habe Christen den Märtyrertod klaglos erdulden lassen, während paganen Römern lediglich die Aussicht auf endgültige Freiheit den Tod erträglicher machte (220), schliesst das Buch.
Der Zusammenfassung ist bereits zu entnehmen, dass es sich entgegen des in der Einleitung vermittelten Eindrucks nicht um die wissenschaftliche Untersuchung einer erarbeiteten Fragestellung handelt, sondern vielmehr um eine umfassende Darstellung von Sachverhalten, aufbereitet für ein breiteres Publikum. Dieser Widerspruch lässt sich auch innerhalb des Textes nachweisen. Regelmässig verliert sich das, was als wissenschaftliche Betrachtung beginnt, in Gedankenspielen, die mitunter interessant, unterhaltsam und für nicht-Fachleute auch lehrreich sind, die aber meist an der Oberfläche bleiben und zu wenig originellen Ergebnissen kommen.
Dies hat manche Ungenauigkeit zur Folge: So ist Vespasian sicher nicht unter die “tyrannous rulers” zu zählen, wenn doch, dann sollte dies begründet werden (122). Auch gab es kein generelles Bestattungsverbot für zum Tode Verurteilte (119; schon bei Mommsen, Strafrecht, S. 987ff unstrittig), Domitian wurde nicht an der via Latina bestattet (138; vgl. eindeutig Suet. Dom, 17) und wenn munera mit “games” übersetzt wird (49), fragt sich, wo die notwendige Differenzierung zu ludi bleibt.
Bedenklicher als solche Versehen ist aber, wenn Argumentationen auf der Interpretation verkürzt dargestellter Sachverhalte beruhen. Beispielsweise widmet sich E. in Ch. 3 über 15 Seiten der Philosophie Senecas, dessen Denken immer wieder um den Themenkreis körperlichen Leidens und schmerzhaften Sterbens kreist, und liefert dafür politische (103) oder tiefenpsychologische Erklärungen (97). Letztlich interpretiert sie Seneca als “enthusiastic advocate of suicide under all circumstances” (104). Dass Seneca zeitlebens an einer schweren Lungenkrankheit litt, die ihn regelmässig mit grossen Schmerzen und der sicheren Aussicht auf einen baldigen Tod und dem Selbstmord als einzigem möglichen Ausweg konfrontierte, erwähnt sie nicht (vgl. ep. mor. 54, 1-7. und 78,1-15; sowie cons. ad Helv. (= dial. 12), 19, 2 (präzise bei Maurach, Gregor, Seneca. Leben und Werk, Darmstadt 1991, S. 26-29).
Ungünstig ist schliesslich der Verzicht auf eine zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse oder gar ein Fazit, das eine Antwort auf die entwickelte Fragestellung hätte geben können — zwei allgemeiner formulierte Sätze zum Ende des achten Kapitels reichen diesbezüglich nicht aus.
Anhand der aufgezeigten sowie noch weiterer, aus Platzgründen hier nicht behandelter Probleme, lässt sich konstatieren, dass Forscher der Sozial-, Kultur- oder Gesellschaftsgeschichte ebenso wenig wie Philologen neue Erkenntnisse aus diesem Buch werden ziehen können — was eigentlich keinen Anlass zu Kritik böte, wenn nicht genau dieser Anschein durch Titel, Klappentext aber auch die Introduction geweckt werden würde. Denn letztlich handelt es sich um ein literarisch versiertes und mit reichlich wissenschaftlicher Beikost veredeltes Essay, das im gebildeten Laienpublikum sicherlich zu recht eine interessierte Leserschaft finden wird.