BMCR 2006.11.33

L’Estremo Oriente di Strabone. Libro XV della Geografia. Introduzione, traduzione e commento. Quaderni di “Invigilata Lucernis”, 26

, , L'Estremo Oriente di Strabone : libro XV della Geografia. Quaderni di "Invigilata lucernis" ; 26. Bari: Edipuglia, 2005. 328 pages : maps ; 24 cm.. ISBN 8872284503. €18.00.

Nicola Biffi, einer der führenden Kenner der Geographika Strabons, hat sich bereits durch seine Übersetzungen und Kommentare zu Strabons Büchern V-VI, XVI und XVII sowie eine Üebersetzung und einen Kommentar zu Arrians Indike als Fachmann auch für eine Kommentierung des Buches XV der Geographika über den südöstlichen Grenzraum der griechisch römischen Oikumene empfohlen, den “fernen Osten” der augusteischen Epoche.1 Auch der nun vorgelegte Band wird in den nächsten Jahren aufgrund seines Reichtums an Informationen einen festen Platz als Arbeitsmittel in den Strabonforschungen einnehmen.

Biffi legt noch den alten griechischen Text des Buches XV der Geographika aus F. Meinekes Ausgabe (1852-1853) zugrunde. 16 Abweichungen hiervon hat er in einer “nota critica” (p. 37) zusammengestellt und im Kommentar jeweils begründet. Inzwischen sollten aber zu jeder Passage des Buches XV auch die Textfassung und der kritische Apparat in der neuen Ausgabe von S. Radt vergleichend herangezogen werden.2 Der Rezensent ist kein Muttersprachler des Italienischen. Soweit mir dennoch ein allgemeines Urteil über die sprachliche Qualität der Übersetzung Biffis möglich ist, wirken Biffis generell verlässliche Übersetzungen an manchen Stellen rhetorisch-stilistisch eleganter als die sperrigere späthellenistische griechische Gelehrtenprosa Strabons.

Die Auffassungen, welche Strabon von der Ausdehnung, Gestalt und inneren Struktur Asiens als Kontinent vertritt, haben gewichtige Folgen für sein persönliches Gesamtbild von der Oikumene. Kurze Zeit vor Strabons Arbeit an seinen Geographika skizzierte z.B. Diodor von Agyrion in seiner Historischen Bibliothek — grösstenteils auf der Basis von eben den Quellenwerken, die auch Strabon vorlagen — ein anders akzentuiertes Gesamtbild Asiens als Kontinent.3 Das Buch XV der Geographika beginnt methodisch folgerichtig mit einer ausführlichen Auseinandersetzung Strabons mit den Positionen des Eratosthenes in seiner ersten Sphragis und anderer älterer Autoren über die umstrittene Nord-Süd-Ausdehnung und Gesamtgestalt Asiens (XV,1,1-10), bevor Strabon seine chorographische Detailbeschreibung Indiens vorlegt (XV,1,11-73). Sie übertrifft an Länge und Inhaltsreichtum erheblich die folgenden beiden Abschnitte über die Ariana (XV,2 1-14) und Persien (XV,3,1-24 und zur Beschreibung Persiens in Buch XV siehe bereits knapp Biffis Einleitung, p. 16-18). Da es sich bei diesen beiden Regionen zu Strabons Zeit um Kerngebiete des parthischen Grossreiches handelt, liegt bereits in dieser bewussten Ponderierung der Teile des Buches XV ein Hinweis auf Strabons Prioritäten als Kulturgeograph. Allerdings hatte er über die Nomima der Parther bereits ausführlich in seinem universalhistorischen Hauptwerk, den Historika Hypomnemata, berichtet (vgl. XI,9,3 = FGrHist 91 F 1). In XV,1,34 und XV,1,37 werden die “Serer” lediglich kursorisch wegen ihrer erstaunlichen Langlebigkeit erwähnt. Biffi betont zu Recht (p. 197), dass damit weder Mongolen noch gar die Bevölkerung im Kerngebiet des zeitgenössischen chinesischen Reiches gemeint seien, sondern andere asiatische Steppenvölker. Der Ferne Osten endet, wie Biffi aufzeigt, räumlich eben doch für Strabon an den Ostgrenzen des Zuges Alexanders und der Reiche der frühen Diadochen.

Buch XV beschreibt Regionen der Oikumene, welche samt und sonders dem Historiker und Geographen aus Amaseia nicht mehr aus eigenen Aufenthalten bekannt waren. Er beschreibt sie deswegen völlig auf der Basis von schriftlichen Quellen unterschiedlichen Alters und Quellenwertes und von Informationen vom Hörensagen. Biffi bietet eine gute Übersicht über die Quellen des Buches XV (p. 18-30). In diesem Werkteil tritt durch besonders zahlreiche und namentliche Zitate der gelehrte und kompilative Charakter der Geographika noch deutlicher als in anderen Büchern hervor. Unter den schriftlichen Quellen Strabons für Buch XV nehmen Autoren der Alexander- und frühen Diadochenzeit einen herausragenden Rang ein (Nearchos, Aristobulos, Onesikritos, Megasthenes). Auch das geographische Hauptwerk des Eratosthenes, die Geographika mit einer begleitenden Oikumenekarte, lag Strabon vor. Biffi nennt in seinem Kommentar nicht nur die einschlägigen Parallelstellen zum strabonischen Text, sondern zitiert diese häufig auch zur Bequemlichkeit der Leser. Vor allem in einigen kritisierten Berichten über Indien wird die methodisch für Strabon als einen wissenschaftlichen Geographen und Historiker bedeutende Trennungslinie zu unwissenschaftlichen, offen adulatorischen oder rein mythischen und thaumasiographischen Berichten überschritten (vgl. bereits Strabons Kritik in den Prolegomena II,1,9 und erneut z.B. XI,3,3 — XI,6,4). Obwohl Strabon als eine der wenigen wertvollen zeitgenössischen Informationen im Buch XV die Belebung des Handelsverkehrs in der Augusteischen Ära zwischen Ägypten und den Häfen des Roten Meeres einerseits und der Westküste Indiens andererseits notiert, lehnt er auch bei der Beschreibung dieser Schiffahrtsrouten am südöstlichen Ende der Oikumene aus Überheblichkeit die annähernd zeitgenössischen Berichte und das aus der Praxis geschöpfte Wissen der Kaufleute ab (vgl. insb. XV,1,4). Dies schadet seinem Bericht in Buch XV ebenso wie seine Ablehnung des Fahrtberichtes des Pytheas über den Nordwesten der Oikumene.

Indien und die Regionen des Partherreiches jenseits des Euphrat sind für einen Autor der augusteisch-frühtiberischen Epoche politisch-ideologisch sensible Regionen. Hatte doch Augustus selbst in seinen Res Gestae den Eindruck erweckt, die parthischen und indischen Herrscher hätten mit verschiedenen Gesandtschaften eine diplomatische Vorrangstellung des augusteischen Weltreiches anerkannt. Doch der in der römischen Öffentlichkeit lange erwartete und von prominenten Dichtern eingeforderte Krieg gegen das Partherreich war aus guten Gründen vermieden worden. Bei der ausführlichen Beschreibung Indiens bestand für einen proaugusteischen Autor wie Strabon die Gefahr, dass den Lesern durch die hufigen Bezüge auf Alexanders Zug und die frühe Diadochenära die unangenehme Tatsache deutlich werden konnte, dass der Princeps im Südosten der Oikumene in seinen kriegerischen Erfolgen keinem Vergleich mit Alexander standhalten konnte. Über die Abfassungszeit des Buches XV der Geographika kann auch Biffi mangels eindeutiger Quellenstellen nur spekulieren (p. 33-35). XV,1,73 mit dem Zitat aus den Historien des Nikolaos von Damaskos (= FGrHist 90 F 100) führt lediglich für diese Stelle, nicht aber für die gesamte Beschreibung Indiens, der Ariana und Persiens auf 20 v. Chr. als terminus post quem. Biffi schliesst sich jedenfalls nicht der Auffassung an, dass der Grossteil der Beschreibungen der Geographika erst in frühtiberischer Zeit zusammengestellt worden sei.

Für die Regionen, die Strabon im Buch XV beschreibt, lag ihm eine eindrucksvolle Fülle an Informationen älterer Autoren vor. Biffi ist der Auffassung, dass Strabons Beschreibungen jedenfalls nicht auf eine möglichst vollständige Vorlage dieses Materials abzielen. Hervorzuheben ist an Biffis Kommentaren zu einzelnen Paragraphen des Buches XV nicht nur der Reichtum der Hinweise auf historiographische und geographische Probleme und antike Parallelstellen, sondern auch die botanischen, zoologischen sowie religionsgeschichtlichen Notizen, für die ein Altertumskundler ohne spezielle Vorkenntnisse auf diesen Gebieten besonders dankbar sein wird.

Strabon zeigt ein auffällig intensives Interesse an den Lebensweisen und Lehrauffassungen der indischen “Philosophen” (der Brachmanai und Garmanai, vgl. XV,1,58-70). Dies erklärt sich meines Erachtens nicht bereits hinreichend durch die Ausführlichkeit, mit der sich zuvor schon Strabons Quellen mit diesem Thema befasst hatten. Biffis Kommentare dokumentieren diese älteren Schriften sorgfältig. Das Interesse Strabons hat vielmehr sicherlich direkt mit seiner Selbstauffassung als eines “philosophischen” Autors und mit dem allgemeinen, höheren Bildungswert der Kulturgeographie zu tun, den er bereits in den Prolegomena der Bücher I-II nachdrücklich beansprucht hat. Vermutlich wird das Thema auch mit Rücksicht auf die von Strabon erhoffte Leserschaft detailliert aufgegriffen.

Von den drei antiken Megastädten Rom, Alexandreia und Babylon, waren Strabon nur die ersten beiden aus eigenen Aufenthalten bekannt. Daher und wegen ihrer Bedeutung im Augusteischen Reich werden sie viel ausführlicher beschrieben als Babylon und die übrigen persischen Residenzstädte (vgl. insb. XV,3,9-11). Zu Babylon, Susa und anderen Metropolen Persiens stützt sich Strabon ganz auf die Beschreibungen der Alexander- und frühen Diadochenzeit.4 In XV,3,23-24 finden die Leser Strabons am Ende des Buches XV eine Übersicht über den Aufstieg und Fall des achaimenidischen Reiches (vgl. hierzu Biffis Kommentare p. 305-309). Durch einen Vergleich mit den Exkursen über die Geschichte des Attalidenreiches oder des Aufstieges der Römer zur Weltmacht in den Geographika hätte Biffi die spezifischen Akzente dieser kompositorisch bedeutsamen Schlusskapitel des Buches XV noch klarer vorführen können.

Ich möchte abschliessend nur noch auf zwei Stellen kurz eingehen. Biffi bevorzugt XV,1,50 (p. 82-83 und im Kommentar p. 215) die Lesung der Handschriften “agoranomoi”, obwohl er im Kommentar gewichtige Stimmen für die Emendation “agronomoi” erwähnt, die meines Erachtens zu Recht jüngst Radt (p. 196) in den Text genommen hat. Im Kyrosgrab zu Pasargadai gab es nach Bericht des Aristobulos (FGrHist 139 F 51), den Strabon in XV,3,7 zitiert, unter verschiedenen wertvollen Gegenständen in der Grabkammer auch einen “kosmos lithokolletos”. Biffi übersetzt dies (p. 125) mit “una riproduzione del mondo in pietre preziose”. Träfe dieses Verständnis das Richtige, dann läge hier ein bisher in der Literatur über antike Weltdarstellungen übersehenes Zeugnis vor. Im Kommentar (p. 282) begründet Biffi leider aber seine pointierte Übersetzung nicht näher. Radt (p. 255) hat dagegen die allgemeinere und meines Erachtens hier vorzuziehende Übersetzung “mit Edelsteinen besetztes Geschmeide” gewählt.

Die Benutzung des nützlichen Kommentars Biffis wird durch ein ausführliches Namensregister und zwei Karten erleichtert. Hilfreich wäre auch ein Begriffsregister gewesen. Druckfehler sind im Kommentar und im Literaturverzeichnis selten. Das Buch Biffis kann allen an Strabons Geographika und den im Buch XV beschriebenen Regionen der antiken Welt Interessierten nachdrücklich empfohlen werden.

Notes

1. Vgl. Nicola Biffi, L’Italia di Strabone, Genua 1988, ders., Il Medio Oriente di Strabone. Libro XVI della Geografia, Bari 2002 mit der Rezension von Johannes Engels in BMCR 2003.09.24, ferner Nicola Biffi, L’Africa di Strabone. Libro XVII della Geografia, Modugno 1999 und ders., L’Indiké di Arriano. Introduzione, testo, traduzione e commento, Bari 2000.

2. Vgl. Stefan Radt, Strabons Geographika Band 4. Buch XIV-XVII: Text und Übersetzung, Göttingen 2005.

3. Vgl. in Kürze hierzu ausführliche Beiträge von Michael Rathmann und Johannes Engels, in: Michael Rathmann (Hg.), Raumwahrnehmung und Raumerfassung in der Antike (Kolloquium Bonn 2005), in Druckvorbereitung.

4. Siehe ergänzend zu Biffi’s Literaturhinweisen über Babylon jetzt auch Tom Boiy, Laatachemenidisch en hellenistisch Babylon. Portret van een Mesopotamische stad in een cultureel spanningsveld, Diss. KU Leuven 2000.