BMCR 2006.10.33

Römische Adoption: Zur Strategie einer Familienorganisation. Frankfurter althistorische Beiträge, 10

, Römische Adoption : zur Strategie einer Familienorganisation. Frankfurter althistorische Beiträge, Bd. 10. Hennef: Clauss, 2005. 351 pages ; 25 cm.. ISBN 3934040071. €58.00.

Der vorliegende Band stellt die gekürzte Fassung der im Sommersemester 2003 von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam angenommenen Habilitationsschrift der Verfasserin (K.) dar.

Ziel der Arbeit ist es, die Adoption im Zeitraum vom 2. Jh. vor Chr. bis zum 3. Jh. nach Chr. in ihrem sozialen Kontext zu beleuchten. Der geographische Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Westen des Imperiums unter Einbeziehung Ägyptens.

K. macht zunächst darauf aufmerksam, dass die lateinische Sprache aufgrund des engen Zusammenhangs von Elternlosigkeit und Kinderlosigkeit für beide Schicksale nur den Begriff orbitas ausgeprägt hat. Auch dies lässt darauf schliessen, dass die römische Adoption das gesellschaftliche Bedürfnis spiegelt, elternlose Kinder zu versorgen und kinderlosen Eltern zu Nachwuchs zu verhelfen.

K. stellt heraus, dass analog der Rechtskonstruktion der Bindung des Kindes an seinen Vater ( patria potestas) die römische Adoption ebenfalls eine Rechtskonstruktion war, die einem Mann Vaterschaft in Form von patria potestas und nicht einem Paar Elternschaft übertrug.1 Die Adoption war somit konsequent an der patriarchalischen Familie orientiert und dem Vater wuchsen durch das Adoptionsrecht weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Familie zu. Nach einem Überblick über die Quellenlage und die Forschungsdiskussion untersucht K. im ersten Teil der Arbeit zunächst die äussere Form und die Motivlage bei der Adoption. Adoptionen wurden in der Öffentlichkeit praktiziert und waren damit vor allem in der Oberschicht durchaus sozialer Kontrolle unterworfen. Dabei war Adoption, wenn die leiblichen Erben fehlten, durchaus kein soziales Stigma, sondern Ausdruck besonderen Sozialprestiges und ökonomischer Leistungsfähigkeit, sich trotz fehlender Nachkommen adäquat zu reproduzieren.2 Seit dem Prinzipat spielen die familiären Reproduktionsstrategien einzelner Adelsgeschlechter neben dem Kaiserhaus eine wesentlich geringere Rolle.

Beachtenswert ist die Beobachtung, dass die adoptierten Söhne in republikanischer Zeit zumeist erfolgreicher als ihre Adoptivväter waren. Dies war sicherlich Folge des gebündelten Prestiges zweier Familien. Neben den Aspekten Dignität und Familiensicherung war auch die Absicherung der Herkunftsfamilie ein wichtiger bei der Adoption zu beachtender Faktor. So sollten weitere Söhne nomen, sacra und memoria der in Adoption gebenden gens weiterführen. In der öffentlichen Wahrnehmung blieb aber auch die enge Klammer von leiblichem Vater und in Adoption gegebenem Sohn im Blick. Hieraus lässt sich durchaus auch eine Mittlerfunktion des Adoptierten zwischen Herkunfts- und Adoptivfamilie erschliessen.

Im zweiten Teil der Arbeit analysiert K. die historische Entwicklung der Adoption von der Republik bis in den frühen Prinzipat. K. stellt hierbei die These auf, dass die soziale Akzeptanz (von ihr so bezeichneter) anderer Adoptionsformen als der Rechtsform höher war als von der bisherigen Forschung erkannt und versucht durch Aufweis anderer angeblicher Adoptionsformen diese These zu verifizieren.

Zunächst beschreibt K. zutreffend die Entwicklung der arrogatio 3 als gesellschaftliches Amalgamierungskonzept und erläutert die von den patres bestimmten comitia curiata und den Einfluss der pontifices auf die arrogatio. Hierin, wie auch in der Kompliziertheit des Verfahrens sieht K. den Versuch, die Exklusivität der Nobilität bei der arrogatio zu sichern. Neben der Schaffung von Lebenschancen in Bezug auf soziale Vernetzungen wurde die arrogatio seit der späten Republik dann auch als politisches Instrument interessant, wie sich am bekannten Beispiel des Clodius zeigt.

In der relativen Exklusivität der arrogatio sieht K. den Grund für die Entstehung der adoptio, die einen Weg bot, die Beteiligung der pontifices zu übergehen und vermutet praetorischen Ursprung.

K. hält es für wahrscheinlich, dass sich im 2. Jh. v. Chr. die Paradigmen der Auswahl eines Adoptivsohns in der Nobilität hin zur Suche ausserhalb der eigenen gens (Strategie des Prestigetauschs und Solidarität zu Adoptiv- und Herkunftsfamilie) veränderten.4 Es zeigt sich ein System der Bündelung von Ressourcen und ein Muster, durch Adoption verlorengegangenes Prestige zurückzuerhalten. K. sieht geradezu ein durch Adoption entstandenes Familienkartell des 2. Jh. (Cornelier, Aemilier, Fabier, Servilier); ein Netzwerk der Elitefamilien, das im 1. Jh. weiter ausgebaut worden sei, wobei K. meint, dass das Verfügbarmachen von Adoptionskandidaten in gegenseitiger Loyalität gewissermassen zur familiären Verpflichtung geworden sei.

Fraglich bleibt, ob die Testamentsadoption, deren Vorteil deutlich darin lag, die Entscheidung jederzeit revidieren zu können, zumindest in republikanischer Zeit als testamentarisch initiierte arrogatio gesehen werden kann. K. liefert eine Reihe von Argumenten dagegen.

In der Kaiserzeit verwandelte sich die Adoption zunehmend in eine Konzeption testamentarischer Erbregelung, die nicht nur Verwandte, sondern in zunehmendem Masse auch Weggefährten ins Auge fasste und weitgehend die politisch-sozialen Funktionen der echten Adoption der Zeit der Republik ersetzte. Wie sich an der Verwendung des Begriffes domus anstelle von familia ablesen lässt, wurde in der Kaiserzeit die Bereitschaft grösser, die Linie über die Tochter weiterzuführen. Sicherlich galt schon seit der Republik auch die Bedeutung der mütterlichen Abkunft als prestigebildendes Element.

Im dritten Teil der Arbeit versucht K. durch die Dokumentation realer Adoptionsfälle eine Typologie der Adoption zu erarbeiten. Die gewählten Beispiele sind in der Regel schlüssig; allerdings werden die Ausführungen immer dann recht spekulativ, wenn K. den selbst gesetzten zeitlichen und geographischen Rahmen überschreitet — eine konsequente Beschränkung hätte der Arbeit insofern gutgetan.

Ob sich Frauen als Adoptivmütter sahen, ist für die Untersuchung unerheblich, da sie rechtlich, wie K. selbst doch deutlich herausstellt, nicht adoptieren konnten. Wenn es auch verständlich ist, die emotionale Seite des Kinderwunschs zur Geltung kommen zu lassen, so liegen doch die von K zahlreich behandelten informellen Quasi-Adoptionen, deren Kennzeichen doch gerade ist, dass keine patria potestas errichtet wurde, auf einer durchaus anderen Ebene. Vielleicht hätte man die von K. herangezogenen Fälle einer auf Erziehung gerichteten angeblichen “Adoption” durch Frauen in Verbindung mit einer Erbregelung besser ausserhalb der Untersuchung gelassen. So verständlich es ist, dass in der plebs Quasi-Adoptionen dem Bedürfnis nach Kindern Rechnung tragen konnten, so hat dies mit den rechtlich gesicherten Adoptionen der römischen Oberschicht und dem eigentlichen Thema der Arbeit recht wenig zu tun. Quasi-Adoptionen als gewissermassen gleichberechtigte Alternativstrategien zur Adoption als Rechtsform hinzustellen, geht an der römischen Realität sicherlich vorbei.

Ebenso scheint die Behandlung lokalrechtlicher Praktiken und volksrechtlicher Adoptionen in den Provinzen sowie die Darstellung von Pflegschaftsverhältnissen den eigentlichen Rahmen der Untersuchung zu überschreiten. Zuzustimmen ist der römischer Praxis entsprechender Vermutung K.`s, dass man in lokalrechtliche Praktiken nicht eingriff, solange keine gerichtsfähigen Konflikte entstanden.

Im vierten Teil der Arbeit behandelt K. Konfliktfelder der Adoption, die sich vornehmlich aus Eingriffen der Kaiser ins Adoptionsrecht erschliessen lassen. K. arbeitet hier heraus, wie im 2. Jh. die Adoption (vielleicht als Reaktion auf nachlassende gesellschaftliche Kontrolle) immer stärker reguliert und ethische Normen durch juristische ersetzt wurden. So galt für die arrogatio am Ende des 2. Jh. eine cognitio, die die Kinderlosigkeit und Alter und Zeugungsfähigkeit des Arrogationswilligen untersuchen sollte. Wichtig ist, dass der pater familias aber weiterhin grosse Gestaltungsfreiheit in familiären Angelegenheiten hatte. Allerdings zeigt sich, dass vornehmlich die adoptio als Instrument familiärer Umstrukturierung genutzt wurde, da die arrogatio wesentlich stärkerer sozialer Kontrolle unterlag. Ausführlich behandelt K. sich aus dem Erbrecht ergebende Konfliktfälle.

Es ist K. gelungen, neben den bisher vornehmlich beleuchteten juristisch-dogmatischen oder politischen Aspekten der Adoption die Adoption als soziale Praxis in den Blick zu bekommen. Gerade hierin liegt aber auch das Problem: Solange K. in einer Synthese historischer und juristischer Fragestellungen auf dem Boden der Tatsachen bleibt, ist ihr Buch ein Gewinn, wenn sie aber in zeitbedingter Interpretation beginnt über die Wertigkeit z.B. angeblicher Frauenadoptionen zu spekulieren, ist ihr nicht mehr an jeder Stelle zu folgen.

An einigen Stellen bleibt die von K. gewählte Übersetzung fraglich.5 Ein Literaturverzeichnis, ein nützliches Glossar der relevanten Begriffe und ein Stellenregister, ein Register der behandelten Adoptierten und ihrer Väter sowie ein Sachregister beschliessen die materialreiche Arbeit.

Notes

1. Daher waren auch alle, die keine patria potestas ausüben konnten, von der Praxis der Adoption ausgeschlossen. Ein interessanter Gedanke ist auch, dass schon die Entscheidung des pater familias, ein leibliches Kind aufzuziehen, im übertragenen Sinn eine “Adoption” darstellt.

2. Der Vorgang ist in der Elite sogar so selbstverständlich, dass er nicht eigens reflektiert wurde. Oft sind Adoptierte nur durch Elemente ihres ursprünglichen Namens im Adoptivnamen überhaupt als Adoptierte erkennbar.

3. arrogatio : jemand, der sui iuris, also eigener pater familias ist, wird adoptiert und damit verliert seine Familie die selbständige Existenz und geht in der Familie des Adoptivvaters auf. Der Arrogierte wie auch alle in seiner potestas stehenden Personen gehen in die potestas des Arrogators über.

4. Bei Adoption innerhalb der Familie hatten die dignitas -Aspekte erheblich weniger Gewicht und ökonomische Überlegungen überwogen den Austausch an Prestige.

5. S.65 … et voluntate faciunt, quod natura non potuerunt: hoc faciunt homines. K: ” … : die schaffen Menschen.” — S.84 an pater ob ullam adoptionem accusari possit , an ob hanc debeat. K: “ob der Vater wegen jener Adoption angeklagt werden könne, oder deswegen etwas schuldig bleibt.” — Vorschlag des Rez.: ” … oder ob er zu dieser moralisch verpflichtet sei.” — S.194 moribus receptum K: “durch tradierte Sitten.”