BMCR 2004.05.21

Response: Draeger on Benferhat on Draeger

Response to 2004.04.01

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Die Rezension ist offenbar geschrieben worden, ohne die ausfuehrlich dargelegten Intentionen des Herausgebers, Uebersetzers und Kommentators / Verfassers zur Kenntnis zu nehmen (s. S. 579-584 “Zu Text, Uebersetzung und Kommentar”). Mit diesem Hinweis eruebrigte sich eigentlich jedes weitere Wort. Da aber eine Rezension im Internet leicht mehr Leser findet als das besprochene Buch, sei auf einige Punkte kurz eingegangen, meiner Bequemlichkeit und begrenzten Zeit halber in der Wissenschaftssprache (s. RE, Handbuch der Altertumswissenschaft, Der Kleine Pauly, Der Neue Pauly etc.) Deutsch. Ich gliedere nach der von mir festgelegten Ponderierung:

(1) Uebersetzung:

Die Uebersetzung ist von mir als das “Kernstueck der vorliegenden Ausgabe” (S. 580) bezeichnet worden. Sie ist als einzige zur Zeit auf dem Markt befindliche deutsche Uebertragung fuer deutschsprachige bzw. Leser mit Deutschkenntnissen bestimmt (B. fragt “who is D.’s audience?”). Es ist weder Hybris noch erst recht Chauvinismus, wenn ich behaupte, dass meine syntaktisch, wortstellungsmaessig, stilistisch und besonders semantisch wohldurchdachten Uebertragungen ins Deutsche nur ein deutschsprachiger Leser wuerdigen kann. Verwendet werden sie, wie ich aus Rueckmeldungen weiss, in vielen Laendern, aber diese Benutzer schreiben eben keine leichtfertigen Besprechungen. Man kann eine Rezension auch zurueckgeben, wenn man feststellt, dass man ihr nicht gewachsen ist (so deute ich die Rubrik “again available” unter “monthly books”). Ich selbst habe es erst kuerzlich abgelehnt, fuer den Gnomon eine griechisch-italienische Ausgabe des Apollonios Rhodios zu besprechen, um dem italienischen Uebersetzer kein Unrecht anzutun. Alles, was die Rezensentin zur Begruendung ihrer Aussage “The translation is generally accurate, but D. sometimes comments more than he translates” zu bieten hat, ist ein von ihr durch willkuerlich geaenderte Klammersetzung verfaelschtes Beispiel aus meiner Uebertragung (VF 7,3).

(2) Text:

Die Rezensentin vermisst voreilig einen apparatus criticus (“it is composed of two columns, the left one with the lectio which was chosen bei Ehlers, the right one for the lectio D. preferred”). Fuer den lateinischen Text verweise ich S. 579 den naeher Interessierten “auf eine wissenschaftliche Textedition (die ich in diesem Ausmass nicht bieten wollte)”. Da es davon genuegend auf dem Markt befindliche gibt, habe ich nicht eine Sekunde daran gedacht, noch eine solche zu liefern. Ich habe bisher auch alle Angebote, eine kritische Textedition (z.B. fuer Apollonios Rhodios) zu erarbeiten, erfolgreich abgewehrt und werde das auch weiterhin tun, denn in der Zeit, die ich darauf verwenden muesste, koennte ich ein halbes Dutzend zweisprachiger Ausgaben in der bewaehrten Weise erstellen. Es gibt genuegend juengere Kollegen, die sich daran ueben koennen. Ich biete auch bei VF lediglich, wie in zweisprachigen Ausgaben ueblich, einen Lesetext. Daraus erklaert sich das Fehlen eines kritischen Apparates, sowohl unter dem Text als auch dahinter. Neun Seiten (S. 303-311) sind deutlich betitelt als “Abweichungen von Ehlers’ Text”. Was soll in zwei Spalten mehr stehen? Wenn ich auch Libermans Textgestaltung ablehne, so stellt der franzoesische Kollege doch alles fuer die Textkritik noetige Material in ueberreichem Umfang zur Verfuegung. Klar sollte doch gleichfalls sein, dass zu “Abweichungen”, zumal fuer einen Deutschen (Gross- / Kleinschreibung), auch Schreibweise (z.B. Amnes / amnes) und vor allem Interpunktion (z.B. Fragesatz / Aussagesatz) gehoeren, zumal eingeschraenkt durch meine Klausel (S. 303) “Interpunktion und Orthographie nur in relevanten Faellen”. Zum Lesetext gehoert auch, dass moeglichst alle lacunae und cruces beseitigt werden, und zwar tunlichst nur mit vorliegenden Vorschlaegen; die Zeiten hemmungsloser bzw. stupider Konjekturalkritik sind gluecklicherweise vorbei. Ich erinnere mich gut, wie wenig hilfreich mir als Studenten cruces- und lacunae-uebersaete Teubner- oder Oxford-Ausgaben fuer die kursorische Lektuere bzw. die Examensvorbereitung gewesen sind; diese Stellen blieben dem Anfaenger unverstaendlich. Oder soll der Uebersetzer auch in seiner Muttersprache cruces bzw. lacunae einfuegen? cui bono?

In diesem Zusammenhang: Kleinlich, zumal im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung der Wissenschaft, ist die Klage darueber, dass auf einer Seite (gemeint wohl S. 312) drei Sprachen (Latein, Franzoesisch, Deutsch) verwendet sind. Ich haette keine Schwierigkeiten, Zitate auch in zehn Sprachen auseinanderzuhalten. Und warum sollte man die Vorteile, die der PC heute bietet, “when one copies and pastes”, nicht nutzen?

(3) Erlaeuterungen:

S. 584 steht fuer Lesewillige deutlich: “Jedoch koennen sie (d.h. die Erlaeuterungfen) aus praktischen Gruenden (Umfang) keinen modernen wissenschaftlichen Kommentar ersetzen (der fuer B. 1, 2, 5, 6, 7 und Teile von B. 4 vorliegt, z.T. doppelt und dreifach).” Voellig an der Sache vorbei geht somit eine Bemerkung wie “the commentary is far from being complete, if it ever could be”. Und selbstverstaendlich gehoert nicht in Erlaeuterungen zum Text, ja noch nicht einmal in einen wissenschaftlichen Kommentar die von der Rezensentin vermisste “evolution of Epic under the Flavians with the use of monologues and dialogues which come from the tragedy”. Das ist Sache von Monographien. Im uebrigen sind die vergilianischen, statianischen etc. Vorbildstellen der valerianischen Monologe und Dialoge von mir jeweils genannt. Selbst die voreilige Frage, ob es noetig sei, den Leser noch am Ende von Buch 7 daran zu erinnern, “who is the Colchidian … or the Aesonide”, ist vom vorausschauenden Verfasser schon vorweg beantwortet worden, S. 584: “ist auch den Beduerfnissen des gelegentlichen Benutzers bzw. des nur an einer bestimmten Passage Interessierten dadurch Rechnung getragen worden, dass wiederkehrendes Erklaerungsbeduerftiges (Aesonide, Minyer, Tirynthier) auch wiederholt erlaeutert … ist”. In der Tat: “Colcherin” fehlt bei meinen Beispielen!

Ausdruecklich erwaehnen moechte ich in diesem Zusammenhang, zumal es die franzoesische Rezensentin aus mir unerklaerlichen Gruenden nicht tut, den ausgezeichneten franzoesischen Kommentar meines Schweizer (Lausanne) Mitforschers und Freundes François Spaltenstein: Commentaire des Argonautica de Valerius Flaccus (livres 1 et 2), Collection Latomus; 265. Bruessel 2002 (Bd. 2, Buecher 3-5, soll 2004 erscheinen).

(4) Einfuehrung:

Schliesslich (d.h. sogar an erster Stelle) mokiert sich die Rezensentin ueber “the book’s curious organization”, d.h. vor allem, “the introduction” (gemeint wohl S. 557-620) “should have been at the beginning”. “Einfuehrung” impliziert zunaechst im Deutschen keine bestimmte Position (in gewissen Situationen sollte sie sogar der Hoehepunkt sein). Das gilt nach meiner Einschaetzung wohl auch fuer “Introduction” im Franzoesischen oder Englischen. Abgesehen von dieser einseitigen bzw. engstirnigen formalen Begruendung gibt es daneben eine viel plausiblere Alternative, die nicht nur Weltverlage wie Reclam oder Artemis / Patmos (Tusculum) mit gutem Grund befolgen, sondern auch ich, dem Budé und Loeb in dieser Hinsicht ein Graeuel sind: Wenn ich eine griechische oder lateinische Ausgabe aufschlage, moechte ich so schnell wie moeglich den Originaltext und die Uebertragung sehen, vielleicht auch noch Erlaeuterungen. Alles andere ist, um mit Wilamowitz zu sprechen, “Pflichtarbeit”, entweder auf Wunsch des Verlages, des Herausgebers oder “Wissenschaftlichen Beirates”, der Bequemlichkeit des Lesers dienend, der sich im uebrigen auch dort genauer bedienen koennte, wo es der Herausgeber in der Regel tut (Literaturgeschichten, Monographien etc.). Muss ich mich hingegen durch eine langatmige oder auch langweilige “Einfuehrung” hindurchquaelen (wobei ich mich nicht ausnehme), komme ich erschoepft, moeglicherweise voreingenommen durch den Herausgeber sowie gelangweilt oder gar voellig demotiviert am Ziel, dem Originaltext, an: Wozu brauche ich den dann ueberhaupt noch zu lesen, wenn mir der Herausgeber bereits alles eingetrichtert hat?

Fazit:

Die Rezensentin wird auch weiterhin mit zweisprachigen Ausgaben von mir zu rechnen haben, die strikt nach den erneut dargelegten Kriterien akribisch verfertigt sind. Ein einziger Hinweis auf ein sachliches Erratum, ja auf Druckfehler, wie von mir im Vorwort gewuenscht und von anderen bereits per E-Mail geliefert (paul.draeger@uni-trier.de), waere mir mit Blick auf eine zweite Auflage hilfreicher gewesen als eine Besprechung, die in allen Punkten an meinen wohlueberlegten Editionsprinzipien vorbeigeht. Nur eine einzige Aenderung werde ich vornehmen: Potentielle uebereifrige Rezensenten werden kuenftig im Vorwort (wenn es das gibt) den Hinweis finden: “Bitte zuerst den Abschnitt ueber Text, Uebersetzung und Erlaeuterungen lesen!”