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Das nunmehr zehnte Beiheft zum deutschen CVA geht ebenso wie seine Vorläufer auf eine Tagung zurück, die unter dem Thema “Scherben und Geschichte. Die absolute Datierung bemalter griechischer Keramik” im Herbst 2020 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München stattfand, diesmal allerdings unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie teilweise digital. Von den insgesamt 14 gehaltenen Vorträgen gelangten acht zum Druck, wobei die nicht abgedruckten teilweise an anderer Stelle vorgelegt wurden oder hoffentlich noch werden[1].
Zu Beginn geht Stefan Schmidt in der Einführung auf die bisher angewendeten Möglichkeiten ein, zu Eckdaten einer absoluten Chronologie zu gelangen, die sich auf a) eine Kombination von bemalter Keramik mit anderen Gattungen, etwa Bauplastik von außerstilistisch datierten Gebäuden, b) Zerstörungshorizonte und Gräber, die mit aus antiken Schriftquellen gewonnenen Daten verbunden werden, und c) Koloniegründungen der spätgeometrischen und archaischen Zeit mit schriftlich überlieferten Daten stützt. Gerade der dritte Punkt ist angesichts teils widersprüchlicher Schriftquellen von der Hochklassik bis in die Spätantike diskussionsbedürftig. Schmidt weist auch darauf hin, dass naturwissenschaftliche Methoden wie die Radiokarbon- oder Thermoluminiszenz-Verfahren kaum zum Erreichen absoluter Daten geeignet sind, da innerhalb des 1. Jahrtausends v. Chr. ihre Ergebnisspanne einfach zu groß ist. Mit dieser luziden Übersicht bietet Schmidt den passenden Ausgangspunkt für die folgenden Beiträge.
Im Anschluss unterzieht Ralf von den Hoff die Dissertation von Ernst Langlotz “Zeitbestimmung der strengrotfigurigen Vasenmalerei und der zeitgleichen Plastik” (1920) einer ausführlichen Analyse. Langlotz ging von a) einer diachronen Entwicklung aus, die b) weder an Werkstatt- noch an Gattungsgrenzen haltmache (daher auch die Einbeziehung plastischer Gattungen) und sich dabei c) sowohl überregional als auch d) synchron vollziehe. Damit steht er, so von den Hoff, am Ende eines auf Objektivierung zielenden kunstgeschichtlichen Formalismus. Die vier genannten theoretischen Prämissen werden im Folgenden (S. 32–35) einer Überprüfung unterzogen, auf deren Details hier nicht näher eingegangen werden kann. Bis heute hat die Kritik an Langlotz‘ Dissertation einige neue Ansätze bezüglich des Einführungszeitpunktes der rotfigurigen Vasenmalerei hervorgebracht (S. 35–38), deren Abweichung von der ‚alten‘ Chronologie von massiv bis gemäßigt reicht. Für die Zukunft setzt von den Hoff zu Recht auf die deutliche Vermehrung externer Daten sowie unterschiedlichster Methoden ihrer Auswertung, ohne dabei statistischen oder naturwissenschaftlichen Methoden blind zu vertrauen, sowie auf die ständige Überprüfung der absoluten Fixpunkte.
Im Beitrag von Jan Köster stehen die Horizonte potentieller Perserzerstörungen von der Eroberung Sardeis’ 546 v. Chr. bis zur Zerstörung Milets 494 im Vordergrund. Gerade im ionischen Kleinasien – herangezogen werden Alt-Smyrna, Phokaia, Klazomenai, Milet und Didyma – erschweren Forschungsstand und widersprüchliche Aussagen in den Schriftquellen die Untersuchungen. Bei Milet und dem unmittelbaren Umland wird das wiederkehrende Problem deutlich: ein umfangreicher Zerstörungshorizont am Ende der archaischen Zeit kann weder außerstilistisch datiert noch zweifelsfrei mit den Persern verbunden werden. Dies trifft auf das Aphroditeheiligtum auf dem Zeytintepe (massive Brandschicht: kurz nach 500) ebenso zu wie auf den Kalabaktepe (jüngste Funde in Auffüllungsschicht: Beginn des 5. Jhs.) oder den Apollontempel von Didyma (jüngstes Material in Brandschichten: Ende des 6. Jhs.). Das Gleiche gilt für die kyprischen Städte Idalion und Alt-Paphos, für die Köster auch eine möglichst exakte relative Chronologie präsentiert und darauf hinweist, dass im Moment keine Fixpunkte einer absoluten Datierung ohne die Gefahr eines Zirkelschlusses zu erreichen sind.
Für ihr Fallbeispiel stützt sich Bettina Reichardt auf die Grabungen auf dem Taxiarchis-Hügel bei Didyma. Da hier keine Befunde ergraben wurden, basiert die Auswertung auf verbrannten Architekturresten sowie Keramikfunden in insgesamt sieben stratigraphischen Schichten. Das Spektrum der Keramik liegt hauptsächlich auf Skyphoi, Schalen und Kannen[2], und die Datierung der Gefäßkeramik deckt nach herkömmlicher Chronologie etwa ein Jahrhundert bis zum 1. Viertel des 5. Jhs. ab. Zum Erreichen einer feineren Datierungsabfolge zieht Reichardt die Verfüllung ausgewählter Brunnen auf der Athener Agora ebenso wie Kontexte aus Milet und dem Umland heran (S. 69–71), doch kann der Zerstörungszeitpunkt, für Didyma literarisch sowohl mit 494 v. Chr. (Herodot) als auch 479 (Strabon) überliefert, für die Planierschichten nicht genau bestimmt werden. Das völlige Fehlen attisch-rotfiguriger Keramik auf dem Taxiarchis-Hügel muss nach Reichardt nicht zwingend eine Herabdatierung des Beginns des Rotfigurigen nach sich ziehen, sondern kann auch mit der sozialpolitischen Situation rund um die Perserkämpfe zusammenhängen.
Tamara Saggini zieht für ihre Untersuchung eine spätarchaische Assemblage in einer Grube an der Agora-Ost-Seite in Eretria (Insel Euböa) heran, die vor 40 Jahren durch die Schweizerische Archäologische Schule ausgegraben wurde und die eine sekundäre Verfüllung nach einem zerstörerischen Auslöser aufweist. Die untersuchte Auswahl besteht aus 65 schwarzfigurigen Lekythoi[3], die der Cock Group, der Klasse von Athen 581 und der Little Lion Class zugeschrieben werden. Da sie fast keine Gebrauchsspuren zeigen, lag der Zeitpunkt ihrer Herstellung wohl kurz vor ihrer Niederlegung. Im Vergleich mit Fundplätzen in Athen versucht Saggini, die Datierung ihres Massenfundes einzugrenzen. Aber auch hier besteht wieder die Gefahr eines Zirkelschlusses, zumal nur ein Brunnen auf der Athener Agora (G 6:3) einen Anhaltspunkt für eine absolute Chronologie durch ein Ostrakon aufweist. Nach Saggini kann relativchronologisch zwar eine gleichzeitige Produktion der drei Lekythengruppen postuliert, der Zeitpunkt der Zerstörung durch die Perser 480 v. Chr. aber nicht bewiesen werden.
Grundlage der Untersuchung von Stefano Vassallo stellt die nordsizilische Stadt Himera dar, deren zwei Zerstörungshorizonte 480 und 409 v. Chr. aufgrund literarischer Überlieferung mit Kämpfen gegen die Karthager verbunden werden, wobei die zweite Auseinandersetzung die Zerstörung der Stadt bedeutete. Mehrfach- und Massengräber in der Westnekropole weisen Gruppen von zwei bis 23 männlichen Toten im Alter von 18 bis 35 Jahren teilweise noch mit den tödlichen Waffen in den Skeletten auf. Durch einander überlagernde Bestattungsgruppen ist eine relative Abfolge der Gräber vom Ende des 6. Jhs. bis an das Ende des 5. Jhs. möglich. Als datierende Elemente dienen etwa Transportamphoren aus Thasos, Samos oder Korinth (Typ B) ausschließlich in den Gräbern nach 480. Die Rezensentin hält es für problematisch, wenn das Vorkommen dieser Transportamphorenformen nach 480 als entscheidend für eine exakte Chronologie des Produktionsbeginns der Amphoren (S. 96) gesehen wird, denn dabei handelt es sich um ein argumentum ex silentio. Mit der endgültigen Zerstörung der Stadt am Ende des 5. Jhs. zu verbinden ist ein großes Massengrab mit mindestens 72 Individuen, das wenige meist indigene Beigaben aufweist.
Jutta Stroszeck widmet sich in ihrem Beitrag dem Lakedaimoniergrab im Kerameikos, dessen Identifikation mit dem bei Xenophon genannten Mehrfachgrab des Jahres 403 v. Chr. durch eine Inschrift gesichert ist. Nach einem Überblick zur Forschungsgeschichte[4] wendet sie sich einer etwa 60 cm großen fragmentierten attisch-rotfigurigen Amphora Typ B mit ausgehöhltem Torusfuß und kantiger Lippe zu, die in unmittelbarer Verbindung zur ältesten Grabgrube gefunden wurde (S. 108–113). An dieser zeigt sie überzeugend die ursprüngliche Funktion als Maßgefäß für Olivenöl anhand der speziellen Fußform, der Gebrauchsspuren und der durch das Öl angegriffenen Oberfläche des Gefäßes; in seiner letzten Funktion diente es aufgrund seines absichtlich durchschlagenen Gefäßbodens für Libationen für die bestatteten Spartaner und besitzt aufgrund seiner Fundumstände das Jahr 403 als terminus ante quem.
Stefan Schmidt unterzieht sich der Aufgabe, im Oeuvre des apulischen Dareiosmalers konkrete Hinweise auf historische Vorgänge zu verorten. In der 2. Hälfte des 4. Jhs. finden sich vermehrt Kratere mit Schlachtdarstellungen der Perser gegen die Griechen, wobei Details wie die Darstellung des Kampfwagens oder das direkte Aufeinandertreffen beider Herrscher, überliefert für die Schlacht bei Gaugamela 331 v. Chr., diese als Darstellungen eines historischen Ereignisses ausweisen. Eine feinere Datierung an das Ende der 30er Jahre des 4. Jhs. durch Schmidt basiert auf dem bärtig dargestellten Alexander, da seine Bartlosigkeit zuerst noch nicht bekannt gewesen sei. Sowohl stilistisch als auch motivisch setzt Schmidt einen Kelchkrater des Dareiosmalers in Basel mit der Darstellung von auf Thrakien verweisenden Personifikationen (Rhodope, Skythes) etwa 10 Jahre früher an, da die singuläre Darstellung mit dem Thrakienfeldzug König Philipps II. am Ende der 40er Jahre des 4. Jhs. verbunden werden kann. Dieser Datierungsansatz mit zwei historischen Ereignissen als termini post quos überzeugt, auch wenn normalerweise eine “Datierung griechischer Vasenmalerei nach Darstellungen historischer Begebenheiten ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen” ist (Zitat S. 128).
Susan I. Rotroff weitet schließlich den zeitlichen Rahmen bis in die Spätantike für eine breite Diskussion absoluter Datierungsanhaltspunkte und ihrer Probleme. Die alten Grabungen materialverfüllter Brunnen auf der Athener Agora sind aufgrund ihrer Grabungstechnik (anfangs wurde noch nicht stratigraphisch gegraben), ihrer Art der Bearbeitung (jahrelanges Auslegen der Funde auf Tischen) sowie einer frühen Auswahl (subjektive Auswahl der Fragmente) nicht immer perfekte Materialgeber. Maßgeblich für eine exakte Datierung könnten Münzen, gestempelte Transportamphoren oder Ostraka sein, diese sind aber auch nicht unproblematisch (z. B. Mehrfach-Ostrakismos einer Person). Die Voraussetzungen für eine Datierung erschweren etwa die Durchsuchung des Materials vor der intentionellen Verfüllung oder die Tatsache, dass ein zerstörter Ort doch von einigen Menschen bewohnt wurde (z. B. Korinth zwischen 146 und 44 v. Chr.). Zuletzt machte eine Radiocarbondatierung von Tierknochen aus der Nekropole von Sindos (S. 140) von sich reden, die mit stilistisch datierten SG-I-b-Gefäßen vergesellschaftet war. Hier mahnt die Rezensentin zur Vorsicht, denn diese C14-Auswertung bietet eine große Datierungsspanne von maximal 320, minimal 120 Jahren, was keine zwingende Umdatierung der spätgeometrischen Keramik nach sich ziehen sollte. Als positives Beispiel für die Veränderung einer bestehenden Keramikchronologie führt Rotroff die Ausgrabung von Koroni in Ost-Attika vor 60 Jahren an, wo durch Münzfunde frühhellenistische Keramik um einige Jahrzehnte herabdatiert wurde. Nach einem ersten Aufschrei begannen einige Forscher, ihre bisherigen Ergebnisse zu hinterfragen (S. 141), was im Verlauf von Jahrzehnten zu Neubewertungen oder Chronologie-Anpassungen führte. Nach Rotroffs Ansicht sind auch Umdatierungen von lediglich 10 Jahren wichtig, um mehr Präzision zu erreichen.
Der vorliegende Band ist sehr gut ausgestattet, die Abbildungen alle von hoher Qualität. Die redaktionelle Arbeit allerdings ist ungleichmäßig verteilt, fehlerfreie Aufsätze (z. B. Beitrag Vassallo) stehen neben solchen, die eine Reihe von Kommatafehlern aufweisen (z. B. 1. Beitrag Schmidt), bei insgesamt recht wenigen Tippfehlern. Offenbar hat in diesem Band niemand ein Problem mit dem deutschen Terminus “Scherben” für Fragment, den die Rezensentin stets zu vermeiden sucht, da der “Scherben” bedeutungsgleich mit dem englischen “fabric” ist; allerdings muss man zugestehen, dass aus dem Zusammenhang stets hervorgeht, wie “Scherbe” zu verstehen ist.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Suche nach absoluten Datierungsankern eine immerwährende Herausforderung für alle Archäologen darstellt. Zu Beginn steht fast immer eine Interpretation des in Rede stehenden Fundmaterials – handelt es sich bei den bemalten Gefäßen um private Ausstattung oder um Verkaufsmaterial in einem Laden? – oder der Schriftquellen, von deren überlieferten Inhalten, aber auch Lücken wir abhängig sind. Beim Heranziehen von Vergleichsmaterial kann man schnell in die Nähe eines Zirkelschlusses geraten, gerade im Zusammenhang mit den Perserzerstörungen in spätarchaischer Zeit müssen außerstilistisch datierte Vergleiche gefunden werden. Ein absolut datiertes Objekt steht aber immer singulär, weitere Gefäße können hier wieder nur auf der Grundlage relativer Chronologie angeschlossen werden. In den meisten Fällen handelt es sich ohnehin um termini ante quos bzw. post quos, denn termini ad quos sind extrem selten zu finden – Beispiele wären hier die allerdings schwarzfigurig dekorierten spätklassischen Panathenäischen Preisamphoren mit der Nennung des Archontennamens. Sich von den etablierten Chronologien zu lösen, ist allerdings sehr schwer, um – und das wäre eigentlich zu fordern – sich ganz neu mit Datierungen zu beschäftigen.
Mit der vorliegenden Publikation wurde jedenfalls eine wichtige Synopse eines gravierenden archäologischen Themas präsentiert, das niemals als abgeschlossen angesehen werden kann. Zugleich soll es aber auch dazu ermutigen, an einem immer feineren Netz von relativen Chronologien zu arbeiten – so wie dies auch in diesem Band geschehen ist –, das als Hinterfütterung von absoluten Datierungspunkten unerlässlich ist.
Authors and Titles
Stefan Schmidt, Scherben und Geschichte. Eine schwierige Beziehung
Ralf von den Hoff, Im Netz von Form und Zeit. 100 Jahre Ernst Langlotz‘ Zeitbestimmung und ihre Chronologiemethodik
Jan Köster, Die Spuren der griechisch-persischen Konflikte im archaischen Ionien und Zypern – ein Überblick
Bettina Reichardt, Perserschutt in Didyma? Die attische Keramik vom Taxiarchis-Hügel und ihre Bedeutung für die absolute Datierung griechischer Keramik
Tamara Saggini, Chronology in Context. Comparing Late Archaic Pottery Between Eretria and Athens
Stefano Vassallo, Himera. Data for a Greek Pottery Chronology Based on the Burials from the Battles of 480 and 409 B. C.
Jutta Stroszeck, Rotfigurige Keramik von der Grabanlage der Lakedaimonier im Kerameikos (403 v. Chr.)
Stefan Schmidt, Geschichte in Bildern. Der Dareiosmaler und Alexander der Große
Susan I. Rotroff, Chronologies, Contexts, and the Agora Excavations
Notes
[1] Im Beitrag von den Hoff S. 43 Anm. 80 wird auf einen leider nicht im Band abgedruckten Beitrag verwiesen.
[2] Die Bildunterschrift Abb. 16 (S. 70) bezeichnet das Randfragment als “Oinochoe”, obwohl es bereits im Text korrekt als Olpe angesprochen wurde. – Außerdem wurde der Name einer Mitarbeiterin, die Umzeichnungen anfertigte, im Abbildungsnachweis konsequent falsch geschrieben; korrekt ist: “J. Struber-Ilhan”.
[3] Die Rezensentin wunderte sich darüber, dass hier Gefäße von oben nach unten beschrieben werden, was den CVA-Regeln widerspricht.
[4] Die Angabe der Lage des Querschnittes (Abb. 2) auf dem Plan der Grabanlage (Abb. 1) wäre hilfreich gewesen, zumal die Lage des Horossteines 2 auf keiner der Abbildungen verzeichnet ist.