BMCR 2023.03.33

After the crisis: remembrance, re-anchoring and recovery in ancient Greece and Rome

, , After the crisis: remembrance, re-anchoring and recovery in ancient Greece and Rome. London: Bloomsbury Academic, 2020. Pp. vi, 265. ISBN 9781350128552.

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In der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen die vergangenen Jahre rund um die Welt von einer Abfolge von ‚Krisen‘ unterschiedlicher Ursache und Form geprägt, die sich gegenseitig überlagern und den wohl nicht unberechtigten Eindruck vermitteln, in einer Zeit ‚krisenhaften Umbruchs‘ zu leben. Eine Reaktion auf eine solche Wahrnehmung könnte in dem Blick in die Vergangenheit liegen, um im Studium vergangener Krisen Verhaltensmuster und erfolgreiche wie vergebliche Ansätze zur Krisenbewältigung zu erkennen und so die Wahrnehmung der eigenen Gegenwart besser einordnen zu können. Dies empfahl bekanntlich bereits Polybios (Pol. 1.1.2), und gewissermaßen in seinen Fußspuren bewegt sich auch der hier anzuzeigende Sammelband der Herausgeberinnen Jacqueline Klooster und Inger Kuin. Dieser geht auf eine im Jahr 2016 veranstaltete Konferenz zurück, die mit Unterstützung der OIKOS Anchoring Innovation-Initiative in Groningen stattfand.

Im Zentrum des Bandes steht die Frage, wie unterschiedliche Gesellschaften der griechischen und römischen Antike mit Krisen umgingen und welche Reaktionen sich insbesondere auf kultureller, politischer und sozialer Ebene beobachten lassen. Hierbei handelt es sich wohl bewusst um einen sehr offen gehaltenen Ansatz, der es erlaubt, eine Vielzahl von Fallbeispielen unter einer gemeinsamen Fragestellung zu behandeln. Hierauf gehen die beiden Herausgeberinnen in ihrer Einleitung ein, ebenso auf den Begriff der „Krise“, der die Beiträge als konzeptionelle Klammer zusammenhalten soll. Dabei gestehen sie zu, dass das griechische Wort krisis eine Bedeutung hat, die mit der modernen Verwendung des Begriffes nicht übereinstimmt. Anders als etwa Reinhart Koselleck, mit dessen Ausführungen in den Geschichtlichen Grundbegriffen sie sich auseinandersetzen, sehen Klooster und Kuin den Krisenbegriff jedoch auch für die Antike als fruchtbar an, um mit dessen Hilfe Perioden beschleunigten Umbruchs und besorgniserregender Veränderungen zu untersuchen. Vor allem erlaube es der Begriff zu analysieren, wie wichtige Ereignisse „geframed“ wurden. Hieraus ließe sich wiederum auch darauf schließen, was eigentlich als akzeptabler Zustand galt, und was in Abgrenzung hiervon erst als Krise erkannt wurde (S. 5). Ganz im Sinne dieser einleitenden Ausführungen konzentriert sich die Mehrzahl der Beiträge dann auch auf Krisennarrative in verschiedenen griechischen und römischen Textquellen.

Diese Beiträge sind in fünf Abschnitte gegliedert. Im ersten („Concepts und Ideology“) diskutiert Tim Whitmarsh zunächst, ob Begriffe wie „Krise“ und „Revolution“ für die antike Geschichte überhaupt angemessen verwendet werden können, und kommt dabei zu dem Fazit, dass dies durchaus sinnvoll der Fall sein kann. Dabei stellt er interessante und anregende Beobachtungen zur heterogenen und teilweise widersprüchlichen Wahrnehmung von geschichtlichem Fortschritt und der Konzeptualisierung von Zeit in griechischen Quellen an. Anhand des Beispiels Athens identifiziert Whitmarsh vier Sichtweisen auf politische Umbrüche in der athenischen Geschichte, die so unterschiedlich ausfielen, dass es kaum überrasche, dass eine übergreifende Begrifflichkeit, die dem modernen Sprachgebrauch der Revolution entspreche, nicht existiere. Deutlich wird dabei zudem, dass von einer rein zyklischen Wahrnehmung von Zeit nicht die Rede sein könne, sondern die Vorstellung linearen Fortschritts durchaus existiert habe.

Michèle Lowrie wiederum konzentriert sich auf den Begriff der securitas und erkennt hierbei, dass dieser, der von Cicero noch im Sinne eines friedlichen Zustands der eigenen Seele verwendet worden war, bei Autoren wie Velleius Paterculus als wesentliche Aufgabe des princeps bezeichnet wird, im Sinne der Bewahrung der res publica. Im Laufe dieser Zeit war aus einem auf den individuellen Seelenfrieden bezogenen Begriff also die Bezeichnung der zentralen politischen Aufgabe des Prinzipats geworden.

Im zweiten Teil stehen zwei Fallbeispiele aus der griechischen Geschichte im Mittelpunkt.

Lisa Irene Hau analysiert in ihrem Beitrag einige Fragmente aus den Werken des Duris von Samos und des Phylarchos (von Athen oder von Naukratis), die in der Forschung der „tragischen Geschichtsschreibung“ zugeschrieben werden. Dabei konzentriert sie sich darauf, wie vermeintlich dramatisierende und, nach Auffassung anderer Stimmen in Antike und moderner Forschung, sensationslüsterne und effektheischende Darstellung tatsächlich eher Ausdruck einer Perspektive von im Krieg Unterlegenen und damit der Erfahrungen und Verarbeitung von Krisen sei. Zudem schlägt Hau vor, die dramatische Darstellung von Gewalt als Element einer didaktisierenden Geschichtsschreibung zu interpretieren, die Details hinzuerfunden haben mag, dies jedoch nicht aus Sensationslust tat, sondern um auf diese Weise bei ihrer Leserschaft ein tieferes Verständnis für die dargestellten Vorgänge zu wecken – eben weil sie hier auch emotional berührt werden konnte.

Andrew Erskine setzt sich in seinem Beitrag mit den Historien des Polybios auseinander und führt aus, wie Polybios, der von diesen Geschehnissen selbst in höchstem Maße betroffen war, den Prozess der römischen Unterwerfung Griechenlands beschreibt. Polybios schildere eine Entwicklung der griechischen Wahrnehmung der römischen Macht: von vergeblichen Warnungen vor Rom, die die untereinander zerstrittenen Griechen nicht adäquat einschätzten, über Widerstand bis hin zu Resignation und Akzeptanz der römischen Überlegenheit. Diese Entwicklung der Wahrnehmung der eigenen Niederlagen und griechischen Krisen insbesondere der ersten Jahrzehnte des zweiten Jahrhunderts v.Chr. interpretiert Erskine zum einen als Einfluss der persönlichen biographischen Erfahrungen des Polybios, zum anderen als Teil seiner historiographischen Konzeption, nach der es möglich sei, gerade aus dem Studium von Katastrophen und Krisen nützliche Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

In den in „Part Three“ versammelten Beiträgen geht es dann um Krisenwahrnehmungen aus der Zeit der römischen Bürgerkriege des ersten Jahrhunderts v.Chr., was im Grunde auch die Thematik der Abschnitte vier und fünf ist, wobei sich die jeweiligen Schwerpunktsetzungen graduell unterscheiden.

Alexandra Eckert eröffnet diesen Abschnitt, indem sie die von Sulla befohlenen bzw. ermöglichten Gewalttaten als Ausgangspunkt eines „cultural trauma“ im Sinne der Definition Jeffrey Alexanders identifiziert. Politische Maßnahmen und Prozesse, die von verschiedenen anderen Politikern in den Jahrzehnten nach Sullas Herrschaft ausgingen und darauf abzielten, dessen politisches Erbe zu beseitigen, deutet sie als Aufarbeitung dieses Traumas. Die extreme Gewalt der sullanischen Zeit hätte auch insofern Folgen gehabt, als dass sich selbst spätere Bürgerkriegsfeldherren wie Caesar, Octavian, Antonius und Lepidus zumindest in ihrer Selbstdarstellung darum bemühten und bemühen mussten, sich möglichst weit von Sulla und seinem Vorgehen zu distanzieren.

Annemarie Ambühl untersucht, wie in Lucans Bellum Civile in einzelnen Passagen Ausblicke auf alternative Versionen der Geschichte der Bürgerkriege eröffnet werden, die sich von dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse unterscheiden. Diese Ansätze offenbarten ein fortgesetztes Nachdenken über die Schrecken der Bürgerkriege, über ein drohendes Ende der römischen Welt durch fortgesetzte Gewalt, jedoch ebenso über Möglichkeiten der Versöhnung zwischen den verfeindeten Individuen und Gruppen.

In einer detaillierten Auseinandersetzung mit Caesars Darstellung der Konfrontation seiner eigenen Truppen mit denen des Domitius bei Corfinium im Frühjahr 49 v. Chr. arbeitet Luca Grillo heraus, wie Caesar zunächst das Bild einer stasis evoziert, um sich selbst mit seiner ‚neuen Art zu siegen‘ dann als personifizierte Lösung der Krise darzustellen. Verantwortlich seien letztlich nur wenige Befehlshaber der Gegenseite, während sich die einfachen Soldaten auf seine Seite schlagen. Die Deutung überzeugt; ob man dabei Grillos Überlegungen folgen muss, der Caesars Darstellung in enger Auseinandersetzung mit Thukydides Darstellung der Krise von Korkyra interpretiert, sei dahingestellt.

Carsten Hjort Lange vergleicht dann in einem sehr anregenden Beitrag die letzte Phase der römischen Bürgerkriege des ersten Jahrhunderts vor Christus sowie die anschließende Phase des Übergangs in eine Friedensordnung zunächst mit anderen Bürgerkriegen späterer Epochen. Den militärischen Siegen des späteren Augustus misst er eine sehr hohe Bedeutung bei der Beendigung der Kriege bei – eine Kriegsmüdigkeit habe sich nun bemerkbar gemacht, nennenswerte Gegner seien zudem nicht mehr vorhanden gewesen. Für den Erfolg des Augustus äußerst wichtig seien zudem auch die praktischen Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Soldaten (den eigenen wie denen der gegnerischen Seite) sowie die Durchsetzung von Sicherheit für die Bevölkerung gewesen.

Mathieu de Bakker wählt wiederum einen anderen Ansatz, indem er die oft behandelte Rede Agrippas in Cassius Dios Römischer Geschichte zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht. Diese Rede interpretiert er zum einen in Hinsicht auf intertextuelle Bezüge zu Thukydides und Herodot, zum anderen mit Blick auf die Entstehungszeit des Werkes. Bakker führt aus, dass Cassius Dio die Probleme deutlich bewusst gewesen sein werden, die in der Kommunikation mit einem Kaiser lagen. Die Darstellung der Rede Agrippas könne demnach als Ausdruck des Bewusstseins für jene Schwierigkeiten verstanden werden, die sich nach dem Ende von Bürgerkriegen für diejenigen ergaben, die dem Sieger als Senatoren und Ratgeber nahestanden.

Josiah Osgood und Andreas Niederwieser wenden sich in einem sehr instruktiven Beitrag wiederum der Frage zu, wie die Nachfahren von Protagonisten der Bürgerkriege, die der unterlegenen Seite angehört hatten, in der späten Republik versuchten, den Namen ihrer Familie zu rehabilitieren. Dabei konzentrieren sie sich besonders auf die Nachfahren des M. Aemilius Lepidus (cos. 78), des L. Cornelius Cinna (cos. 87) sowie des M. Iunius Brutus (procos. 77), die eine solche Rehabilitation primär durch die Betonung der Verdienste früherer Familienmitglieder um die Republik anstrebten. Diese Strategie erwies sich durchaus als erfolgreich, wohl auch weil dabei an Werte appelliert wurde, die der Nobilität insgesamt gemein waren, sowie weil mächtige Protagonisten der römischen Politik wie Caesar, Pompeius oder Augustus die Gelegenheit erkannten, durch das Bündnis mit diesen Personen und Familien die eigene Sache zu stärken.

Der letzte Beitrag stammt aus der Feder Andrew Gallias, der den Fokus auf die Institution der Familie und insbesondere die Rolle von Frauen in der Zeit der Bürgerkriege richtet. Dabei gelangt er zu zwei Ergebnissen: Zum einen arbeitet er heraus, wie Frauen den Handlungsraum, der sich ihnen durch die erzwungene Abwesenheit ihrer Männer durch Krieg oder Exil bot, nutzten, um zugunsten ihrer Familienmitglieder zu intervenieren, wodurch der Zusammenhalt innerhalb der Familie als Modell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt vorgeführt wird. Zum anderen demonstriert er, wie das Gegenteil, also Streit und Kämpfe zwischen Familienmitgliedern, in den Quellen als Symbol für die Zerrissenheit des römischen Gemeinwesens in den Bürgerkriegen dient. Die Thematisierung von Zusammenhalt bzw. Streit innerhalb von Familien gewinnt noch besonderes Gewicht durch die Rolle des princeps als „Vater des Vaterlandes“ und die Sorge um die Vorbildlichkeit der römischen Familien der Oberschicht, die Augustus etwa in den Ehegesetzen antrieb, obgleich er selbst nicht nach den dort verlangten Idealen lebte.

Anhänge mit Endnoten, einer gemeinsamen Bibliographie für alle Beiträge sowie einem Index, der Orts- und Personennamen enthält, schließen den Band ab. Kaum in den Verantwortungsbereich der Herausgeberinnen fällt die gerade in einem solchen Band unglückliche Wahl von Endnoten, die das notorische Hin- und Herblättern leider unumgänglich macht.

Als hoffentlich nicht zu pedantisch erscheint die Anmerkung, dass der Titel des Bandes letztlich mehr verspricht, als die Beitrage einhalten. Von einer Behandlung der gesamten griechischen und römischen Antike kann nämlich kaum die Rede sein, wenn weite Teil der Kaiserzeit sowie die gesamte Spätantike nicht behandelt werden. Nun ist es natürlich in einem solchen Band nie möglich, alle potentiell relevanten Themen abzudecken, doch kann gerade der Ausschluss der Spätantike verwundern, insbesondere da zu dieser Epoche in der jüngeren Forschung eine Reihe von einschlägigen Arbeiten vorgelegt wurde, die mit den Beiträgen des Bandes einige Berührungspunkte aufweisen.[1] Acht von zwölf Aufsätzen rücken wiederum die römischen Bürgerkriege des ersten Jahrhunderts v. Chr. ins Zentrum, was eine legitime Schwerpunktsetzung darstellt, die im Titel vielleicht deutlicher hätte angezeigt werden können.

Ungeachtet dessen bewegen sich alle Beiträge des Bandes auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau und dürften für Forschende, die sich mit den jeweils behandelten Themen sowie dem Umgang mit Krisen in der Antike allgemein beschäftigen, von Interesse sein. Die Diversität der Zugänge und Themen lässt es indes schwierig erscheinen, zu einem allgemeinen Fazit zu gelangen. Vielleicht ist dieses allerdings auch gar nicht notwendig, da sämtliche Beiträge, wie aus ihrer Zusammenfassung hoffentlich deutlich wird, instruktive Gedanken und Anregungen zur weiteren Forschung bieten.

 

Authors and Titles

Part One: Crisis: Concepts and Ideology

  1. Introduction: What Is a Crisis? Framing versus Experience (Jacqueline Klooster and Inger N.I. Kuin)
  2. (Not) talkin’ ‛bout a revolution: Managing Constitutional Crisis in Athenian Political Thought (Tim Whitmarsh)
  3. Security: Calming the Soul Political in the Wake of Civil War (Michèle Lowrie)

Part Two: Crisis Traumas and Recovery: Greece

  1. Tragedies of War in Duris and Phylarchus: Social Memory and Experiential History (Lisa Irene Hau)
  2. Changes of Fortune: Polybius and the Transformation of Greece (Andrew Erskine)

Part Three: Crisis Traumas and Recovery: Rome

  1. Coping with Crisis: Sulla’s Civil War and Roman Cultural Identity (Alexandra Eckert)
  2. Alternative Futures in Lucan’s Bellum Civile: Imagining Aftermaths of Civil War (Annemarie Ambühl)

Part Four: Resolving Civil War

  1. Caesar and the Crisis of Corfinium (Luca Grillo)
  2. Young Caesar and the Termination of Civil War (31 – 27 BCE) (Carsten Hjort Lange)
  3. Agrippa’s ‘Odd’ Speech in Cassius Dio’s Roman History (Mathieu de Bakker)

Part Five: Civil War and the Family

  1. The Fate of the Lepidani: Civl War and Family History in First-Century BCE Rome (Josiah Osgood and Andreas Niederwieser)
  2. The Roman Family as Institution and Metaphor after the Civil Wars (Andrew Gallia)

 

Notes

[1] Siehe nur mit jeweils weiteren Nachweisen: Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Hypomnemata 147), Göttingen 2003; Kyle Harper, The Fate of Rome. Climate, Disease, and the End of an Empire, Princeton 2017; Mischa Meier, Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n.Chr., München 2019 u.ö. Siehe zudem die Arbeiten des Tübinger Sonderforschungsbereichs “Bedrohte Ordnungen.” An einem Forschungsnetzwerk, das sich mit dem Begriff der Resilienz in Anwendung auf die griechische und römische Antike beschäftigt, ist der Rezensent beteiligt.