BMCR 2022.04.09

Prokop von Gaza. Der Exoduskommentar

, Prokop von Gaza. Der Exoduskommentar. Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, Neue Folge, Band 27-28. Berlin: De Gruyter, 2020. Pp. clxv, 401; Pp. xxxiv, 382. ISBN 9783110694864. €139.95; €129.95.

Am Übergang von Spätantike zu Mittelalter wurden von christlichen palästinischen Theologen in fortlaufenden Sammelkommentaren Auslegungen älterer Schulen gesammelt und so für die Nachwelt erhalten. Die Katenenkommentare dieser Zeit liegen größtenteils bereits in kritischen oder zumindest zuverlässigen Ausgaben vor. Anders steht es um den aus Gaza stammenden Prokop (465/470–526/530), dessen mindestens ebenso wichtige katenenartige Kommentierung der ersten sieben Bücher der christlichen Bibel weitgehend unediert ist. Seit Anfang des Jahrhunderts wird diese Lücke durch die verdienstvolle Mühe Karin Metzlers nun teilweise geschlossen: Nachdem sie 2015 und 2016 eine Edition und Übertragung von Prokops Genesiskommentar vorgelegt hat,[1] folgt nun in ebenfalls zwei Bänden der Kommentar zum Exodusbuch. Dieser Kommentar ist dahingehend bemerkenswert als hier sowohl ein Versuch vorliegt, den Wortsinn des biblischen Buchs zu entschlüsseln, als auch eine typologisch-christologische Exegese unter Rückgriff auf ältere Traditionen einen systematisierenden Ausdruck findet (vgl. z.B. I, S. 6f = II, S. 7; I, S. 12 = II, S. 11, usw.).

Der erste Band (= I) enthält eine ausführliche, 153-seitige Einleitung, die Edition selbst im Umfang von 265 S. sowie einen 133-seitigen Anhang; der zweite Band (= II) ist knapper gehalten: für Einleitungsfragen wird auf den ersten Band verwiesen, die Übersetzung entspricht in etwa dem Umfang der Edition (271 S.), die Anhänge sind fast genauso umfangreich (111 S.).

In der Einleitung zur Edition präsentiert die Editorin zunächst Biografisches zum Leben Prokops; die Arbeit am Kommentarwerk vermutet sie dabei in den letzten Jahren des 5. Jahrhunderts (vgl. I, S. XVIII). Es folgt in Auseinandersetzung mit Reinhart Ceulemans, der die Genesisedition einer umfassenden Kritik unterzogen hatte,[2] eine Präzisierung der Einordnung des prokopschen Werks als Kommentar[3] sowie eine Darstellung des Umgangs Prokops mit seinen Quellen, die er immer anonym in sein Werk einarbeitet und dabei sprachlich an seinen Stil anpasst (vgl. I, XXXIV). Der Vergleich mit dem überlieferten Katenenkommentar zeigt dabei, dass beide Werke auf eine „Urkatene“ zurückzugehen scheinen, an der Prokop möglicherweise mitgearbeitet hatte (vgl. I, S. XXVII-XXVIII). Neben Werken des Origenes sind v.a. Werke von Cyrill von Alexandria und Gregor von Nyssa als Quellen anzunehmen; daher auch die Abweichungen von der biblischen Grundlage in der Reihenfolge der Kommentierungen (ob man das als „verwirrten Aufbau“ bezeichnen muss – so I, S. XXXVI – sei dahingestellt). Ein dritter Hauptteil der Einleitung ist einer Darstellung bisheriger Ausgaben sowie dem handschriftlichen Befund des Kommentarwerks gewidmet. Die älteren Ausgaben, darunter die von Migne, erwiesen sich als unzuverlässig; die Edition erfolgt unter Berücksichtigung von fünf Handschriften des 9. bis 16. Jahrhunderts (zur Übersicht vgl. I, S. XLVIII-LIV), die die Editorin jedoch keiner eigenständigen Autopsie unterzogen hat: Sie arbeitet ausschließlich mit Reproduktionen.[4] Es folgen eine hilfreiche Übersicht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der Exoduskatene und der anzunehmenden „Urkatene“, der editorisch wichtigen Vergleiche des Textbestands der einzelnen Überlieferungsträger sowie ein Stemma. In einem vierten Hauptteil werden die anzunehmenden und nachweisbaren Vorlagen sowie Vergleichstexte ausführlich dargestellt. In einem fünften Teil werden die Editionsgrundsätze dargestellt. Ein sechster Teil ist Nachträgen zur Genesisedition gewidmet, ein siebter den verwendeten Abkürzungen und schließlich ein achter einem umfassenden, mehrteiligen Literaturverzeichnis. Wohl den Konventionen der Reihe folgend werden die einzelnen Abschnitte nicht nummeriert und hierarchisiert; hier sollte in Zukunft überlegt werden, ob eine solche Hierarchisierung nicht sinnvoll sein könnte – der vorliegende Band führt ja durchaus Grenzen vor Augen: z.B. wären die „Nachträge zum Genesiskommentar“, die sich am Ende der Einleitung finden (I, S. CXVII-CXXVI), wohl eher ein Teil eines Buchanhangs, leiten sie doch kaum in den Exoduskommentar ein.

Die Edition ist an den von mir überprüften Stellen zuverlässig. Es fallen an vielen Stellen Quellenverweise als „nicht identif[iziert]“ auf, die möglicherweise noch aufgelöst werden können.[5]

Die insgesamt 100 Seiten umfassenden Register geben synoptisch Übersichten über das Vorkommen der Bibelstellen, der hexaplarischen Lesarten und der Autoren sowohl in der Edition als auch in der Übersetzung (dass diese Register dann noch einmal vollständig in den Anhang der Übersetzung übernommen werden, ist nicht nötig, wenn dort für die Einleitung auf die Edition verwiesen wird). Es folgen Übersichten über ausgewählte biblische Lesarten, etymologische Namenserklärungen (auch diese werden im Anhang der Übersetzung wieder abgedruckt) sowie eine Miszelle aus der Feder von Johann Anton Zieme zu „Textänderungen innerhalb von Bibelzitaten in Handschrift B“. Beschlossen wird der Band mit einer vierseitigen Corrigenda-Liste zur Genesisedition (die Corrigenda zur Übertragung umfassen 1 1/4 Seiten).[6]

Die Einleitung des zweiten Bands ist reduziert auf einen Rückverweis auf die Einleitungen zu den Genesisbänden sowie der Exodusedition sowie ein knappes Literaturverzeichnis. Die Übertragung ist gut lesbar und an den überprüften Stellen stimmig. Der Anhang ist weitgehend mit dem zur Edition identisch; hier hätten weit über 100 Druckseiten „gespart“ werden können.

Der Einleitung und den Kommentaren der Editorin kann weitgehend gefolgt werden und hier ist der Fleiß Metzlers hervorzuheben. Irritation löst allerdings die Aussage „das ursprünglich jüdische Buch Exodus“ (II, S. V) aus: Damit fällt die Editorin weit hinter den religionswissenschaftlichen wie judaistischen Stand zurück, demzufolge von „Judentum“ erst frühestens ab dem 1. nachchristlichen Jahrhundert zu sprechen ist. Es ließe sich allenfalls von einem Buch aus der Religion Israels sprechen, aber selbst damit wird eine unzulässige Distanzierung von der „Schrift“ des Christentums vorgenommen, für deren Gegenteil der vorliegende Kommentar ja ein guter Beleg ist.

Ungeachtet dieser Einschränkung gilt festzuhalten, dass die vorliegende Edition samt Übersetzung gelungen und wichtig ist. Es ist zu hoffen, dass die Editorin auch noch den geplanten dritten (bzw. 5. und 6.) Band mit dem Levitikuskommentar wird vorlegen können.

Notes

[1] Vgl. die Besprechung der Edition durch Pieter W. van der Horst in dieser Zeitschrift: BMCR 2015.06.31.

[2] Vgl. Reinhart Ceulemans, „The Transmission, Sources and Reception of Procopius’ Exegesis of Genesis: Observations in the Wake of the New Edition“, in Vigiliae Christianae 71 (2017), pp. 205–224.

[3] Vielleicht hätte hier eine umfassendere Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Diskussion des Genres „Kommentar“ einen Ort gehabt; so findet sich kein Hinweis auf den grundlegenden Artikel im RAC (Bd. 21, S. 274-329) oder die Forschungsresultate des Bochumer Graduiertenkollegs unter der Leitung des früheren Bochumer Patristikers Wilhelm Geerlings.

[4] Vgl. I, S. L: „zur Verfügung gestellte Filmaufnahmen“, S. LI: „das Photo“, S. LIV: „weitere Angaben lassen sich mangels Reproduktion der Handschrift weiterhin nicht machen“. – Da die Edition in der vor-Covid-Pandemiezeit erstellt wurde, ist Letzteres eine fragwürdige Aussage, das Reisen in Bibliotheken gehört nach wie vor zum Grundhandwerk eines Editors!

[5] Einige wurden bereits in der groß angelegten Besprechung von Gianmario Cattaneo (The Byzantine Review 3 [2021], S. 160-167 –ByzRev 03.2021.017, aufgelöst.

[6] In Bd. I fielen auf S. XC Anm. 215 [falscher Einzug] und CIII Anm. 247 [lies: 214f]; Bd. II, S. V [lies „nicht mehr alle“]; S. VI [Vorname Buchinger fehlt]; die Typografie der An- und Abführungszeichen in der Übersetzung ist nicht immer korrekt.