Puccis Buch bietet nach einer Einleitung einen griechischen Text von Theogonie 1-115 mit italienischer Übersetzung, eine ausführliche Kommentierung der Verse und eine Bibliographie.
In der Einleitung (9-24) begründet P. sein Vorgehen, den Musenhymnus allein zu kommentieren, mit der poetologischen Relevanz dieses Teils der Theogonie Hesiods und seiner Affinität zum genos Hymnus. Die hesiodeischen Epen zeichneten sich gerade dadurch aus, dass bei ihnen der Einleitungshymnus zu Ehren der Gottheit nicht je nach Vortragsanlass wählbar, sondern fest mit dem eigentlichen Epos verbunden sei (23-24). Auch dass der Dichter der Theogonie anders als die Dichter heroischer Epik aus der Anonymität hervortritt und seinen Namen nennt, sieht P. in Zusammenhang mit der Hymnenform des Prooimions (10-11). Der Musenhymnus beschreibe insgesamt “una poetica complessa e sofisticata” (24). Dabei betont P. insbesondere die Bedeutung der Musen, die hier zum ersten Mal in der europäischen Literatur in ihrem charakteristischen Ambiente in Erscheinung treten (9). P. diskutiert ihre Genealogie und Anzahl, die Etymologie ihres Namens, ihre Affinitäten zu Nymphen und Chariten, ihre Beziehung zu Apollon und ihre Verbindung mit Olymp und Helikon (11-14). Zwischen Hesiods theogonischen Themen mit ihren orientalischen Parallelen erscheinen die Musen “singolarmente greche” (11).1
Für P. ist es der Dichter aus Askra, der sie durch die Gleichsetzung der olympischen und helikonischen Musen von epichoren Göttinnen zu panhellenischen gemacht hat (9, cf. 34-35). In der herausragenden Bedeutung, die ihnen im Prooimion der Theogonie zuteil wird, sieht P. eine radikale Subversion der untergeordneten Rolle, die die Dichter von Ilias und Odyssee diesen Inspirationsgöttinnen einräumen. Als Quelle und Thema des Gesanges sind sie bei Hesiod paradoxerweise sein Subjekt und Objekt zugleich (9-10). Nach einem Überblick über die Struktur des Musenhymnus (14-15) kommt P. auf seinen Stil zu sprechen, der innerhalb der traditionellen Parameter der epischen Sprache Homers “una notevole libertà di invenzione” (15) aufweise. Dabei erscheint P. die Stilfigur des Paradoxons von besonderer Wichtigkeit für die Poetik Hesiods (16). Die Muse selbst zeige sich bei Hesiod als geheimnisvolles Wesen voller Paradoxie: “figlia di Memoria crea l’oblio.” (19) So weisen insbesondere die für die Musen und die anderen Gottheiten verwendeten Epitheta und epithetischen Verbindungen poetische Innovationen auf (16-17).
Zwischen Sprache und Inhalt des Hymnus besteht für P. eine enge Verbindung. Die Unterschiede zwischen homerischem und hesiodeischem Vokabular sieht er im Abstand zwischen narrativem Stil auf der einen und katalogischem bzw. hymnischem Stil auf der anderen Seite begründet (17-18). Hesiods Poesie beschreibt er als ihrer selbst bewusst und damit in gewissem Masse metapoetisch: “Linguaggio (. . . ) consapevole che la verità sta al di là dell’imitazione, attraverso la quale però deve pur passare. È il linguaggio delle dee e non quello degli eroi, il linguaggio di una altruità alta, (. . . )” (18). Die Gegenwart des Göttlichen war für die Menschen des archaischen Griechenland vertraut und alltäglich, doch zugleich unvorhersehbar und unergründlich. Dies zeige sich auch in Hesiods Verhältnis zu den Musen (19-20). Das Wahre, das die Musen laut V. 28, wenn sie wollen, zu künden wissen, versteht P. als “l’atto di cantare con perfetta aderenza alle cose. (. . .) cantare la presenza delle cose come esse sono davanti alle dee.” (19). Denn der griechische Wahrheitsbegriff berge die Konnotation des Offenbarens in sich “( aletheia implica appunto lo svelare)” (19; cf. 68). Hesiods Pandora illustriere die traumatischen Konsequenzen der dem Wahren gleichenden Lügen aus V. 27: Sie gleicht den Göttinnen und ist von diesen erschaffen, doch ist sie eine falsche Imitation des Göttlichen, die die Welt der Götter für immer von der der Menschen trennt (20).2 In der Erschaffung solcher Figuren von enormer symbolischer Wirkung sieht P. die besondere poetische Kraft Hesiods (21). Die Theogonie sei die Vorhalle (“l’atrio”) der griechischen Philosophie (21, cf. 18).
Zu ihrer Datierung und Textüberlieferung will P. nur das Essenzielle sagen (21-23): Nachdem er die Thesen der Oralisten dargestellt hat, favorisiert er — in Übereinstimmung mit seiner zuvor gegebenen Interpretation — einen kreativen und seiner selbst als Verfasser bewussten Autor Hesiod, den er im Anschluss an den Theogoniekommentar Wests3 in die zweite Hälfte des 8. Jhdts. datiert. In der Frage der zeitlichen Relation zwischen Homer und Hesiod fehle dagegen jegliche Sicherheit, weshalb P. sich hier im wesentlichen mit bibliographischen Hinweisen begnügt. Doch setzt er in seinen vorangehenden Darlegungen zu Poetik und Stil des Musenhymnus deutlich eine Priorität der homerischen Epen — und damit eine relativ frühe Datierung dieser — voraus.
Als Grundlage seines Textes wählt P. den Theogonietext Wests;4 die Übersetzung ist seine eigene. Der Schwerpunkt seines Kommentars (33-134) liegt im stilistisch-literarischen Bereich. Ausführlich geht P. auf die in den von ihm kommentierten Versen verwendeten Stilmittel und ihre rhetorische Wirkung ein, wobei er bisweilen terminologische Anleihen bei der Sprechakttheorie macht. Auch grammatikalische und phraseologische Besonderheiten erläutert P. im Hinblick auf ihre Semantik und stilistische Prägnanz. Letztlich ergibt sich daraus eine detaillierte Interpretation des Musenhymnus. Insgesamt ein schönes kleines Buch, das geeignet erscheint, Studierende exemplarisch in die Kommentierung und Interpretation antiker Dichtung einzuführen.
Notes
1. Die Parallelenlosigkeit der griechischen Musen findet auch in Martin Wests neuem Buch, Indo-European Poetry and Myth, Oxford 2007 (es erschien vermutlich zu spät, als dass es von P. noch hätte berücksichtigt werden können) eine Bestätigung (94). West spricht sich anders als P., der eine Etymologie des Wortes “Muse” aus *montya, “Bergnymphe”, favorisiert (12), fr eine Herleitung aus der Wurzel *men, ‘think (of), call to mind’, aus (33-34).
2. Ein Hinweis auf Margalit Finkelberg, The Birth of Literary Fiction in Ancient Greece, Oxford 1998, 156-160 wäre zur Interpretation von Th. 27-28 gerade wegen der anderen Perspektive des Buches hilfreich gewesen.
3. Martin L. West (ed., proleg., comm.), Hesiod Theogony, Oxford 1966, 45.
4. Cf. Anm. 3.